Adhärenz: (K)einmal täglich?!
Ein Drittel bis die Hälfte chronisch kranker Patienten nimmt Medikamente nicht so ein, wie der Arzt es verordnet hat. Die mangelnde Therapietreue kann erhebliche Folgen für die Gesundheit haben.
Herr Prof. Krüger, was versteht man unter dem Begriff „Adhärenz“?
Früher sprachen wir von „Compliance“ – der Therapietreue des Patienten. „Adhärenz“ geht noch einen Schritt weiter: Arzt und Patient besprechen gemeinsam das therapeutische Vorgehen.
Trotzdem nehmen nicht alle Betroffenen ihre Medikamente so ein, wie sie es mit dem Arzt besprochen haben. Warum ist das so?
Das kann unterschiedliche Gründe haben – zum Beispiel vergisst jemand die Einnahme oder hat Probleme beim Schlucken. Ältere Menschen brauchen häufiger jemanden, der die Tabletten herrichtet. Manche nehmen ihre Medikamente aber auch nicht, weil sie Angst vor Nebenwirkungen haben.
Bei welchen Rheumamedikamenten weichen Patienten besonders häufig von der Verordnung ab?
Gichtkranke haben mit Abstand die schlechteste Adhärenz. Patienten mit rheumatoider Arthritis dagegen folgen sehr viel besser dem verordneten Schema. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Adhärenz bei Infusionen oder Spritzen größer ist als bei Tabletten. Methotrexat hat häufig eine schlechte Adhärenz: Rund ein Fünftel der Betroffenen, die das Medikament zum ersten Mal bekommt, setzt es innerhalb des ersten Jahres wieder ab. Probleme beobachten wir auch bei Sulfasalazin, weil man viermal am Tag recht große Tabletten schlucken muss. Bei Kortison gibt es zum einen eine Non-Adhärenz, bei der Betroffene das Medikament gar nicht oder weniger als verordnet einnehmen. Es gibt aber auch eine Über-Adhärenz, wenn jemand zu viel Kortison einnimmt. Manche benutzen das wie ein Doping, wenn sie in Urlaub fahren oder zu einem Fest eingeladen sind. Das gilt auch für Schmerzmedikamente.
Ist eine solche Über-Adhärenz gefährlich?
Man muss über die Nebenwirkungen sprechen. Neben der Gewichtszunahme und dem „Vollmondgesicht“ beim Kortison gibt es ja auch Nebenwirkungen, die der Patient nicht gleich merkt – so erhöhen sich zum Beispiel das Infektionsrisiko und auch die Gefahr für die Knochen mit zunehmender Kortison-Dosis (Therapiereregeln bei Kortison).
Welche Rolle spielt die Angst vor Nebenwirkungen?
Gerade bei MTX haben viele große Angst vor Nebenwirkungen und entwickeln teilweise einen starken Widerwillen. Manche Betroffene berichten sogar, dass ihnen schon von der Farbe Gelb übel wird. Dabei sind schwere Nebenwirkungen bei MTX gar nicht so häufig. Trotzdem haben viele das Gefühl, dass dieses Medikament sehr gefährlich ist und ihnen auf Dauer sicher schadet. Ist der Widerwille beim Patienten zu groß, kann der Arzt gemeinsam mit dem Betroffenen eine andere Lösung finden – zum Beispiel eine Biologika-Therapie mit einer geringeren MTX-Dosis zu beginnen. Eigentlich gibt es immer Alternativen – man muss sie nur mit seinem Arzt besprechen.
Wie kommt der Arzt denn dahinter, dass der Patient sich nicht an die Verordnung gehalten hat?
In den meisten Fällen gar nicht. Meine Erfahrung ist, dass die Patienten das am ehesten gegenüber der medizinischen Fachassistenz zugeben: In einer englischen Untersuchung kam heraus, dass beim Arzt nur 20 Prozent der Patienten gestehen, dass sie zum Beispiel MTX nicht genommen haben. Bei der Sprechstundenhilfe sind es über 50 Prozent.
Welche Rolle spielt dabei die „Sprechende Medizin“ beziehungsweise das Arzt-Patienten-Verhältnis?
Die Frage ist: Welche Rolle sollte sie spielen? Wenn der Arzt unendlich viel Zeit für seine Patienten hätte, könnten wir damit nahezu alle Probleme lösen – auch in puncto mangelnder Adhärenz.
Wie wichtig ist zum Beispiel das Internet als Informationsquelle? Schürt es nicht zusätzlich die Angst vor Nebenwirkungen?
Häufig findet man in Patientenforen besonders dramatische Fälle – denn die, bei denen alles bestens läuft, haben keinen Bedarf, ihre Geschichte zu erzählen. Deshalb häufen sich geradezu die Horrorgeschichten, die Betroffene kolossal verunsichern. Weil diese häufig nicht kommentiert werden, hinterlassen solche Seiten beim Leser eine große Ratlosigkeit. Aber es gibt natürlich auch empfehlenswerte Seiten – zum Beispiel die der Rheuma-Liga, aber auch Patientenseiten der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. Wer verunsichert ist, kann ruhig mal zwei, drei fragliche Seiten ausdrucken und mit seinem Arzt darüber sprechen.
Mit welchen Folgen muss ein Patient rechnen, wenn er zum Beispiel die Basistherapie nicht zuverlässig einnimmt?
Es ist gut untersucht, was passiert, wenn Patienten sich nicht an die Verordnungen halten: Es geht ihnen deutlich schlechter. Sie haben zum Beispiel mehr Schmerzen, kaputtere Gelenke, wenn man Pech hat, mehr Begleiterkrankungen und funktionelle Schäden. Manche Patienten fühlen sich nach dem Absetzen der Medikamente zwar erst mal besser, weil die Nebenwirkungen ausbleiben. Nachteile machen sich mitunter erst Jahre später bemerkbar, wenn die Gelenke irreparable Schäden davongetragen haben. Was sollten Betroffene tun, die gern weniger oder andere Medikamente nehmen möchten oder mit der Einnahme nicht klarkommen? Der beste Weg ist, mit dem Arzt zu sprechen und zu fragen, ob man die Therapie allmählich abbauen kann. Auch dafür muss man gemeinsam einen Plan erstellen und vor allem vereinbaren, wann der Patient umgehend zum Rheumatologen kommen muss.
Welche Chancen haben Menschen mit rheumatischen Erkrankungen heutzutage, eines Tages ihre Medikamente absetzen zu können?
Die meisten Menschen mit einer entzündlichen rheumatischen Erkrankung müssen ihr Leben lang Medikamente nehmen. Aber es gibt einen Teil Patienten, die für längere Zeiten teilweise oder sogar ganz auf Medikamente verzichten können. Wer heute zum Beispiel an rheumatoider Arthritis erkrankt und gleich Medikamente bekommt, hat eine gute Prognose. Bleibt die Krankheit jedoch unentdeckt und haben sich die entzündlichen Prozesse nach einigen Jahren verselbstständigt, verringert sich die Chance auf eine medikamentenfreie Zeit. Wichtig ist in jedem Fall, dass Arzt und Patient eine Absprache treffen: Der Patient muss sich sofort melden, falls es ihm schlechter geht.
Zum Autor
Prof. Klaus Krüger ist internistischer Rheumatologe in München und Sprecher der Kommission „Pharmakotherapie“ der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie.