„Akzeptiere die Krankheit – und dann lebe mit ihr!“
Die 27-jährige Karen über Rheuma, Mode, Liebe und tiefe Löcher
Bremen. Sie ist jung, attraktiv – und leidet seit 16 Jahren an Rheuma. Karen Baltruschat (27) treffen wir auf dem Flughafen Bremen. Sie will gerade nach Wien fliegen, um mit einem Freund seinen 30. Geburtstag zu feiern. „Wir werden die Nacht durchtanzen, auch wenn mir am nächsten Morgen alle Knochen weh tun.“ Karen Baltruschat hat ihre Krankheit akzeptiert, um mit ihr leben zu können.
Karen, Rheuma tritt ja meist bei älteren Menschen auf. Da ist man mit seiner Krankheit nicht allein. Wenn junge Frauen wie Sie betroffen sind, dann ist die Umgebung gesund, hat Themen wie Liebe, Mode, Freizeit im Kopf. Ist es dann umso schwerer, mit der Erkrankung umzugehen?
Baltruschat: Nach meiner Erfahrung ist es einfacher. Als junge Frau managt man sein Leben anders. Ich gehe shoppen wie andere junge Frauen auch. Ich gehe auf Partys, ich reise um die Welt, ich gehe Trampolin springen und tanze. Und dabei trage ich High Heels. Bei Schuhen bin ich ein bisschen verrückt. Ich habe gut 100 Paar Schuhe im Schrank.
Sie haben Rheuma und tragen High Heels?
Klar, obwohl High Heels das Schädlichste sind, was man sich antun kann. Bei Rheuma schmerzen ja besonders die Gelenke. Wenn man die durch High Heels zusätzlich belastet, ist das nicht gut. Am nächsten Tag schmerzen alle Gelenke und der Rücken – aber das ist es mir wert. Ich trage alles, was mir gefällt. Und das tut mit gut. Ich habe die Krankheit akzeptiert, um mit ihr zu leben.
Sie strotzen nur so vor Selbstbewusstsein ...
Ich bin charakterstark und habe großes Selbstbewusstsein, das stimmt. Die meisten Frauen mit Rheuma, die ich kenne, sind selbstbewusst, um die Blicke aushalten zu können. Aber ich kenne auch welche, die damit schwer zu kämpfen haben. Jeder fällt irgendwann in eine Depression. Bei mir gibt es auch diese Phasen, zum Glück nur einige Tage im Jahr.
Mit Rheuma fühlt man sich ja nicht immer gleich ...
Eben, an den meisten Tagen geht es mir sehr gut, an anderen tut alles weh und ich bin total kaputt. Und dann gibt es diese depressiven Phasen, wo ich in ein Loch falle. Zum Glück sind die nur kurz. Ich bin ein sehr optimistischer Mensch, und dann geben mir meine Mutter und meine Freunde Kraft, um aus dem Loch herauszukommen. Das ist wichtig: Solche Menschen braucht jeder Rheumakranke.
Depressionen sind ja eine der typischen Begleiterkrankungen von Rheuma. Wie gehen Sie mit der Aussicht um, dass zum Rheuma noch weitere Krankheiten hinzukommen?
Ich muss gut auf mich aufpassen. Aber ganz entscheidend ist, dass auch die Ärzte, die mich betreuen, nicht nur vom Rheuma wissen, sondern auch alle Begleiterkrankungen im Blick haben. Wenn sie das nicht von selbst tun, dann sollten die Frauen sie aktiv darauf ansprechen. Meine Frauenärztin ist ganz wunderbar, sie achtet auf die Nebenwirkungen der Medikamente, die ich nehmen muss, weiß vom höheren Zystenrisiko und möglichen Gebärmutterhalskrebs. Sie achtet auf mich und erinnert daran, wenn ich wieder zum Hautscreening gehen soll. Gerade junge Rheumatiker vernachlässigen das Thema der Begleiterkrankungen. Eben weil sie noch jung sind und sich stark fühlen.
Was ist so belastend an Rheuma?
Die Schmerzen. Ich habe nicht nur Rheuma in den Gelenken, sondern auch in den Sehnen. Manchmal sind die Entzündungen so stark, dass ich einen Kortisonstoß brauche. Dann geht es mir nicht gut. Die Krankheit schränkt ein, es gibt schlechte Phasen, in denen alles weh tut, in denen ich leide, in denen ich fertig bin.
Das dürfte auch für eine Partnerschaft eine schwere Zeit sein ...
Oh ja. Ich bewundere noch heute meinen bisherigen Freund für seine Geduld und seine Kraft. Du kannst dir nie sicher sein, dass es Deinem Partner gut geht. Ein Beispiel: Wir hatten eine Reise nach Kuba gebucht. Wenige Tage zuvor habe ich mich stark erkältet. Das ist bei Rheumakranken normal, weil das Immunsystem geschwächt ist. Ich bin mit 40 Grad Fieber ins Flugzeug gestiegen und habe mich auf Kuba erstmal einige Tage ins Bett gelegt.
Und das hat Ihr Partner auch mit Verständnis aufgenommen?
Nein, das ging über seine Kräfte. Es war ja nicht das erste Mal. So etwas kommt ja immer wieder vor. Seine ganze Enttäuschung, seine Überlastung kam raus. Und das war auch gut so. Am Ende ist es doch noch ein wunderbarer Urlaub geworden. Aber klar ist: Ein Partner braucht viel Kraft, Verständnis und Geduld, wenn er mit einem Rheumakranken eine Liebesbeziehung eingeht. Mein Freund hat mir erzählt, was so schwer für ihn war: „Ich musste lernen zuzusehen, ohne etwas tun zu können, was Dir hilft.“
Ist es da nicht unglaublich schwer, wenn man sich verliebt, dem anderen zu sagen, dass man unheilbar krank ist?
Ja, das ist unglaublich schwer. Und die Angst vor dem Nein ist riesengroß. Aber es bringt auch nichts, das lange zu verschweigen. Der andere muss die Chance haben zu entscheiden. Ich wüsste gar nicht, ob ich diese Kraft aufbringen könnte.
Welchen Rat geben Sie jungen Frauen, wenn sie die Diagnose Rheuma bekommen?
Redet über Eure Gefühle, ändert was euch stört. Wenn Du eine rosa Wand willst, dann musst Du Farbe kaufen und die Wand anmalen. Ich habe mit 11 die Diagnose Rheuma bekommen, ohne sie gleich zu verstehen. Mit 15 war ich wütend, dass ich anders war. Da sagte mir meine Mama: Nein, Du bist nicht anders, du hast nur einen anderen Packen zu tragen. Wir sind nicht die Krankheit, sie gehört nur zu unserem Leben.