Wissenschaftliche Neuigkeiten stehen auf dem EULAR-Kongress, der in diesem Jahr in Mailand stattfand, im Mittelpunkt. Auch die Deutsche Rheuma-Liga war mit einer Delegation vor Ort. Prof. Stefan Schewe, internistischer Rheumatologe und Vorstandsmitglied der Deutschen Rheuma-Liga, fasst die interessante Erkenntnisse zusammen.
Knie-TEP: auf Funktionstraining achten!
Wovon ist die allgemeine Gebrechlichkeit ein Jahr nach einer Operation mit Totalendoprothesen (TEP) vom Kniegelenk bei älteren Betroffenen abhängig? Die Frage wollte eine japanische Studie klären und nahm 75 Betroffene mit ausgeprägter Kniearthrose im mittleren Alter von 75 Jahren unter die Lupe. Ergebnis: Die Gebrechlichkeit nach einem Jahr hing nicht von den Schmerzen ab, sondern signifikant von der Funktion des operierten Gelenks, also beispielsweise von der Muskelkraft im Oberschenkel und der Gehgeschwindigkeit.
Fazit: Dies unterstreicht die Bedeutung des Funktionstrainings des operierten Gelenks. Nur, wenn die Funktion verbessert werden kann, ist davon auszugehen, dass sich nach einem Jahr die Behinderung durch allgemeine Gebrechlichkeit und damit verbundener früherer Sterblichkeit vermindern lässt. Das gilt vermutlich auch für Endoprothesen an anderen Gelenken. (POS0101)
Hinweis: Die Buchstaben-Nummer-Kombinationen bezeichnen die Kennziffern des jeweiligen wissenschaftlichen Abstracts. Unter dieser Nummer kann man die wissenschaftliche Zusammenfassung in englischer Sprache auf folgender Seite finden: https://scientific.sparx-ip.net/archiveeular
Neue Therapieoption bei Psoriasis-Arthritis
Bimekizumab ist ein Interleukin-IL-17A- und -F-Blocker, der bei Psoriasis der Haut hochwirksam ist und zum Einsatz kommt, wenn andere Medikamente nicht geholfen haben. In dieser internationalen Studie zeigte sich, dass dieses Medikament auch bei Psoriasis-Arthritis hilft, wenn TNFAlpha-Blocker nicht anschlagen.
Fazit: Es ist zu begrüßen, dass sich die Therapiemöglichkeiten für Psoriasis-Arthritis erweitern, denn trotz Biologika und JAK-Inhibitoren gibt es Betroffene, die bislang nicht ausreichend gut auf andere Medikamente ansprechen. Bimekizumab ist mittlerweile auch für Psoriasis-Arthritis zugelassen. Es wird alle vier Wochen unter die Haut gespritzt. (POS0231)
Riskantes Übergewicht bei rheumatoider Arthritis
Adipositas ist ein Risikofaktor dafür, dass antientzündliche Therapien bei früher rheumatoider Arthritis (RA) nicht richtig wirken. Rund 400 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer bekamen erstmals eine Therapie, und zwar entweder Prednisolon, Certolizumab, Abatacept oder Tocilizumab.
19 Prozent von ihnen hatten einen Body-Mass-Index über 30 und damit krankhaftes Übergewicht. Zu Anfang der Studie hatten die adipösen Betroffenen die gleiche Krankheitsaktivität wie die anderen Betroffenen. Am Ende des Beobachtungszeitraums von 24 Wochen lag die Krankheitsaktivität der Übergewichtigen höher und sie sprachen schlechter auf die Medikamente an als die Normalgewichtigen.
Fazit: Adipöse RA-Patienten haben mehrere Nachteile: Ihre Krankheitsaktivität liegt höher, weil Entzündungsbotenstoffe aus dem Fettgewebe um die Bauchorgane herum die Entzündung verstärken. Außerdem wirken antientzündliche Medikamente bei ihnen schlechter.
Hinzu kommt die stärkere Belastung durch das höhere Gewicht, vor allem der Gelenke der unteren Extremitäten, die allerdings auch dazu führt, dass das Osteoporoserisiko sinkt. Da sich viele Übergewichtige zu wenig bewegen, erkranken sie häufiger an Herz- Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Gewichtsabnahme lohnt sich bei RA-Patienten mit deutlichem Übergewicht somit in jedem Fall. (POS0324)
Neue Daten zu Fatigue bei Lupus
Müdigkeit ist ein führendes Symptom von Autoimmunerkrankungen, die eng mit der Lebensqualität der Betroffenen verbunden ist und von Ärzten oft kaum beachtet wird. Unter französischer Leitung hat ein internationales Forscherteam ein System von Fragebögen entwickelt, das die wichtigsten Aspekte der Müdigkeit erfasst. So wurden Daten von 1.250 Betroffenen mit systemischem Lupus erythematodes (SLE) aus mehreren Ländern erfasst und die Faktoren eingeordnet, die Fatigue verursachen.
So sollten die Betroffenen etwa ihre Müdigkeit auf einer Skala von 0 (keine Müdigkeit) und 10 (unerträgliche Müdigkeit) vornehmen, im Mittel lag sie bei 7. In der Analyse zeigten sich die wichtigsten Einflussfaktoren. Dabei handelte es sich um Schlafstörungen, Schmerzen, selbst eingeschätzte Aktivität der SLE-Erkrankung, begleitende Fibromyalgie und hoher Stresslevel.
Fazit: Lupusbetroffene sind stark beeinträchtigt durch Müdigkeit. Die genannten Faktoren spielen dabei eine Rolle und sollten in einem multimodalen Therapiekonzept behandelt werden. Es gibt noch mehr behandelbare Einflussgrößen auf Fatigue, etwa Blutarmut, Schilddrüsenfunktionsstörungen oder Herzerkrankungen. Die Studie hat diese nicht untersucht. Die Deutsche Rheuma-Liga hat gerade eine Studie zu diesem Thema zusammen mit der Universität Düsseldorf abgeschlossen, die sich noch in der Auswertung befindet. Wir werden über die Ergebnisse in mobil berichten. (OP0230)
MTX-Dauertherapie schwächt die Potenz
Beeinflusst eine dauerhafte Therapie mit Methotrexat (MTX) die sexuelle Funktion von Männern mit rheumatoider Arthritis oder Psoriasis-Arthritis? Eine italienische Arbeitsgruppe untersuchte dazu 77 Betroffene, die MTX erhielten, und 32 ohne MTX. Die MTX-Gruppe erhielt im Mittel zehn Milligramm Methotrexat über durchschnittlich acht Jahre.
Ergebnis: Eine längere MTX-Therapie (fünf Jahre oder länger) kann die Potenz tatsächlich beeinträchtigen. Eine kürzere MTX-Gabe zeigte keinen Effekt.
Fazit: Männer mit Kinderwunsch sollten diese Funktionsstörung kennen und überlegen, ob sie die Therapie wechseln. Bislang galt nur bei Frauen, dass sie bei Kinderwunsch kein MTX nehmen sollten. (POS0314)
Keine Lymphome durch MTX-Therapie
Offenbar gibt es doch kein erhöhtes Risiko für Betroffene mit rheumatoider Arthritis, unter MTX-Therapie an Lymphomen zu erkranken. Darunter versteht man eine bestimmte Art von Lymphknotenkrebs, der aus der verstärkten Stimulation und Blockierung von bestimmten Immunzellen, den Lymphozyten, entstehen kann.
Das ist das Ergebnis einer ausführlichen Literatursuche aus den USA zu randomisierten klinischen Studien, in die die Ergebnisse von acht von 839 Artikeln einflossen. Zwar hatten zwei japanische Studien ein gering erhöhtes Risiko gezeigt, doch hatte dies offenbar mehr mit der japanischen Herkunft der Betroffenen zu tun.
Fazit: Schon lange vermuteten Wissenschaftlerinnen und Ärzte ein erhöhtes Lymphomrisiko bei MTX, doch dies konnte nie in großen Registerstudien nachgewiesen werden. Offenbar gilt dies nicht für die europäische/amerikanische Bevölkerung. Diese Information dürfte viele Betroffene beruhigen. (POS0457)
RA-Basistherapie senkt Osteoporoserisiko
Welchen Einfluss hat die antientzündliche Therapie auf das Risiko für Knochenbrüche aufgrund krankhaft geringer Knochendichte bei RA-Betroffenen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung? Dieser Frage ging eine norwegische Registerstudie nach. Dabei zeigte sich, dass herkömmliche Basismedikamente – meist MTX – das Risiko bereits senken. Eine Therapie mit Biologika
kann das Knochenbruchrisiko offenbar sogar normalisieren.
Fazit: Wir wissen, dass vor allem Kortison das Risiko für Knochenbrüche erhöht. Aber auch die Entzündung selbst begünstigt Osteoporose. Die Registerstudien zeigen, dass das Risiko für RA-Betroffene ohne Basistherapie, einen Knochenbruch zu erleiden, fast verdoppelt ist. MTX reduziert das Risiko um 50 Prozent. Bei einer Therapie mit Biologika ist es nicht mehr vom allgemeinen Frakturrisiko zu unterscheiden. Die konventionelle Basistherapie vermindert das Frakturrisiko bei RA-Betroffenen – vorausgesetzt, man verzichtet auf Kortison. (POS0175)
Kolchizin kann TEP-Operation verzögern
Kolchizin ist das Gift der Herbstzeitlose und seit Langem gegen Gichterkrankungen im Einsatz. Jetzt hat sich herausgestellt, dass es in niedriger Dosis offenbar die Notwendigkeit einer Operation (Gelenkersatz) bei Knie- und Hüftgelenkarthrose verzögern kann. Das haben niederländische Forscherinnen und Forscher herausgefunden. Die qualitativ hochwertige Studie erfolgte bei 5.522 Betroffenen, von denen etwa die Hälfte täglich 0,5 Milligramm Kolchizin erhielten.
Nach im Mittel 28,6 Monaten zeigte sich, dass 2,5 Prozent der Probanden eine Totalendoprothese (TEP) benötigten, die Kolchizin erhalten hatten. In der Gruppe ohne Kolchizin waren es 3,5 Prozent, der Unterschied war signifikant. Gichtpatienten und Patienten, die in den ersten drei Monaten der Therapie operiert werden mussten, waren von der Studie ausgeschlossen.
Fazit: Eine wichtige Studie, die möglicherweise die Vorgehensweise bei der in Deutschland ja zu oft durchgeführten Operation der beiden häufigsten Gelenke verändern könnte, wenn auch der Effekt nicht sehr groß ist. In dieser niedrigen Dosierung treten nur selten Nebenwirkungen auf. Möglicherweise zeigt diese Studie einen Weg auf, wie man mehr Zeit und Motivation für die begleitende Physiotherapie gewinnt – Bewegung ist bekanntlich bei Arthrose entscheidend! Kolchizin hat für die Anwendung bei Arthrose allerdings noch keine Zulassung. (OP0072)
Weniger Infektionen dank Hydroxychloroquin
Hydroxychloroquin vermindert offenbar das Risiko, eine Infektionserkrankung zu bekommen. Der Wirkstoff beeinflusst auch den Verlauf der Infektionserkrankung bei Betroffenen mit rheumatoider Arthritis (RA) eher günstig, wenn es zusätzlich zu einer Basistherapie eingenommen wird. Dieses etwas überraschende Ergebnis wurde von einer Arbeitsgruppe aus Brasilien nach Analyse von multizentrischen Registerdaten vorgestellt. Laut diesen Daten schützt Hydroxychloroquin offenbar besonders die Lunge, den Gastrointestinaltrakt und die Haut/Schleimhäute.
Fazit: Wir wissen, dass Hydroxychloroquin beim systemischen Lupus erythematodes nicht nur prophylaktisch Organbeteiligungen verhindert, sondern auch die Prognose dieser Erkrankung deutlich verbessert und das Infektionsrisiko mindert. Das gilt möglicherweise auch für RA. Allerdings ist die wissenschaftliche Datenlage noch zu dünn, um die zusätzliche Gabe von Hydroxychloroquin allgemein bei RA zu empfehlen. (OP0223)
Neue Empfehlungen für Sklerodermie
Es gibt neue, aktualisierte EULAR-Empfehlungen zur Therapie der systemischen Sklerose (Sklerodermie). Gegenüber der letzten Version von 2017 gab es dabei deutliche Änderungen: Nun wurden die wichtigen und wirksamen Therapien (auch bei der Lungenbeteiligung) mit Mycophenolat-Mofetil, Nintedanib, Rituximab und Tocilizumab ergänzt.
Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass bestimmte Manifestationen dieser Erkrankung immer noch kaum behandelt werden können, also weiterer Forschungsbedarf besteht. Das gilt beispielsweise für die Beteiligung des Magen-Darm-Trakts, der Calcinosis cutis (Ablagerungen von Kalziumkristallen in der Haut) und der Geschwüre an den Finger- und Zehenkuppen.
Fazit: Die neuen Therapien und deren Stellenwert werden betont. Wie immer bei entzündlich-rheumatischen Systemerkrankungen ist der möglichst frühzeitige Beginn mit einer der entzündungshemmenden Therapien sinnvoll. Das gilt vermutlich auch für eine Therapie bei der häufiger bei dieser Erkrankung auftretenden Lungenfibrose. Es wird wie immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Hochdosis- Kortisontherapie mehr Gefahren als Nutzen bringt und grundsätzlich Kortison als Dauertherapie vermieden werden sollte. (OP0234)
Bewegung schützt vor Depression
Betroffene mit einer systemischen Sklerose (Sklerodermie) haben ein höheres Risiko, eine Depression zu bekommen. Das gilt vor allem für Jüngere unter 65 Jahren und weibliche Betroffene. Risikofaktoren waren wenig Einkommen und mangelnde Bewegung. In einer großen Bevölkerungs-Krankenversicherungs-Datenbank aus Südkorea wurden in einer Fall-Kontroll-Studie 1.063 Fälle (82,4 Prozent Frauen) mit systemischer Sklerose gefunden und die Folgedaten analysiert. Dabei zeigte sich ein erhöhtes Risiko für eine Depression auch dann, wenn man Alter, Geschlecht, Rauchen, Alkohol, physische Aktivität, Körpergewicht, Einkommen, Diabetes, hoher Blutdruck und Fettstoffwechselstörungen in der Analyse berücksichtigte.
Fazit: Bei dieser Autoimmunerkrankung ist es nicht verwunderlich, dass Depressionen als Mitbeteiligung oder als Folge der Erkrankung häufiger auftreten. Die gute Nachricht ist, dass regelmäßige Bewegung dieses Risiko vermindert. Das gilt für alle entzündlichen Rheumaerkrankungen und Arthrose, denn Bewegung hemmt erwiesenermaßen die Entzündung. Idealerweise sollten Betroffene überprüfen, ob sie sich ausreichend bewegen, etwa mit einem Schrittzähler. (POS0127)
Blutbild offenbart Lungenbeteiligung
Möglicherweise kann man mithilfe eines Blutbilds herausfinden, ob bei systemischer Sklerose eine Lungenbeteiligung vorliegt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie an Mexikanerinnen und Mexikanern mit europäischen und indigenen Vorfahren. Die Ärztinnen und Ärzte analysierten dazu das Verhältnis der Blutzellen untereinander: War das Verhältnis von Neutrophilen zu Lymphozyten mehr als doppelt so hoch, war dieses mit der Lungenbeteiligung und einem fortschreitenden Verlauf der Lungenbeteiligung verknüpft.
Es handelte sich um eine kleine Querschnittstudie an 74 überwiegend weiblichen Betroffenen, die im Mittel 50 Jahre alt und seit sieben Jahren erkrankt waren. 85 Prozent hatten eine Hautmitbeteiligung, 50 Prozent eine Lungenmitbeteiligung. Von den Lungenbetroffenen zeigte sich in der hochauflösenden Computertomografie HR-CT, dass bereits die Hälfte der Fälle fortgeschritten waren.
Fazit: Die Lungenbeteiligung bei systemischer Sklerose birgt ein hohes Risiko für einen schweren bis tödlichen Verlauf. Deshalb wäre ein sehr einfach zu messender Parameter wie das Verhältnis der Neutrophilen zu den Lymphozyten im Differenzialblutbild ein wichtiger Prognosefaktor. Spätestens, wenn sich im Blutbild dieser Hinweis ergibt, sollte das volle diagnostische Programm wie HR-CT, Echokardiografie, Lungenfunktion mit CO-Diffusionskapazität und natürlich Entzündungszeichen im Blut erfolgen.
Möglicherweise ist es sinnvoll, schon bei der Erstdiagnose die HR-CT zu veranlassen, zumal wir eine Therapie haben, die diese gefährliche Lungenbeteiligung stoppen oder verzögern kann. Allerdings muss man den Blutzellenbefund noch in größeren Studien in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen bestätigen, bevor man ihn als allgemeingültig bezeichnen kann. (OP0237)
Autor: Prof. Stefan Schewe ist Internistischer Rheumatologe in München und Ebersberg und ärztlicher Berater der Deutschen Rheuma-Liga.
Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 5-2023. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift (jetzt Mitglied werden) direkt nach Hause.