Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen können die Attacken des Immunsystems über die Gelenke hinausgehen. Besonders häufig ist die Lunge in das Entzündungsgeschehen eingebunden. Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil" sprach dazu mit dem Rheumatologen Prof. Andreas Krause. Er ist Rheumatologe und Chefarzt am Immanuel
Krankenhaus Berlin.
Herr Prof. Krause, wie häufig betrifft entzündliches Rheuma die Lunge?
Das Risiko dafür, dass das Krankheitsgeschehen auf die Lunge übergreift, ist nicht bei allen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gleich hoch. Besonders häufig betroffen sind Patientinnen und Patienten mit systemischer Sklerose, rheumatoider Arthritis sowie Sjögren-Syndrom und den hauptsächlich die Muskeln betreffenden Myositiden.
Genaue Angaben dazu sind aber schwierig – auch, weil nicht alle Patientinnen und Patienten konsequent auf einen möglichen Lungenbefall hin untersucht werden. Wir schätzen das durchschnittliche Risiko bei einer rheumatoiden Arthritis (RA) für eine Lungenbeteiligung auf fünf bis zehn Prozent.
Bei anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, etwa der systemischen Sklerose, und bestimmten Muskelentzündungen liegt der Anteil der Betroffenen zum Teil noch deutlich darüber – je nach Verlaufsform der Grunderkrankung und Art der verursachenden Autoantikörper entwickeln zwischen 30 und 70 Prozent der Patientinnen und Patienten eine Lungenbeteiligung. Allerdings sind nicht immer alle Lungenbeteiligungen symptomatisch beziehungsweise für den Krankheitsverlauf bedeutsam.
Viele Betroffene haben verinnerlicht, wie eine rheumatische Entzündung an den Gelenken abläuft. Wie sieht es bei der Lunge aus?
Zunächst geht es los mit einem entzündlichen Prozess im sogenannten Interstitium, also dem stützenden Zwischengewebe in der Lunge. Diesen Prozess nennen wir Interstitielle Lungenerkrankung, kurz: ILD – wobei das D für den englischen Begriff Disease, also Krankheit, steht. Die Ursachen dafür können ganz unterschiedlich sein.
Hält diese Entzündung an, kommt es zu einer dauerhaften Schädigung des Lungengewebes. Dabei entstehen Narben aus Bindegewebe in der Lunge. Dieses Gewebe kann nicht mehr zum Gasaustausch beitragen und auch nicht mehr „repariert“ werden. Dieser Prozess heißt Lungenfibrose. Er kann zum Beispiel auch nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 auftreten, nach langer künstlicher Beatmung oder einer schweren Lungenentzündung. Bei einer Lungenfibrose geht also wichtiges Lungengewebe für immer verloren. Das führt zu einer Verschlechterung der Lungenfunktion. Betroffene haben zum Beispiel Atemnot und Reizhusten. Lungenfibrose ist gewissermaßen die Endstrecke einer Interstitiellen Lungenerkrankung. Wird eine ILD früh genug erkannt, kann die Entwicklung einer Fibrose aber oft verhindert werden.
Wie früh ist bei der Lungenbeteiligung früh genug?
Tatsächlich heißt eine frühe Diagnose, dass wir die Lungenbeteiligung erkennen, bevor der Patient oder die Patientin es selbst merkt. Denn wenn Betroffene merken, dass sie die Treppe nicht mehr gut hochgehen oder Sport nicht mehr machen können, ist bereits Lungengewebe unwiederbringlich verloren. Husten ist häufig erstes Symptom. Rheumatologen sollten ihre Patientinnen und Patienten fragen, ob ihre Belastungsfähigkeit abgenommen hat, und grundsätzlich die Lunge abhören.
Bei manchen Rheumaerkrankungen empfehlen sich zudem regelmäßige Lungenfunktionsprüfungen. Das gilt zum Beispiel für die systemische Sklerose. Im Januar ist eine neue Leitlinie für die Interdisziplinäre Diagnostik interstitieller Lungenerkrankungen im Erwachsenenalter erschienen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie war daran beteiligt.
Wie ist die Prognose für Betroffene mit Lungenbeteiligung?
Das hängt immer von Art und Schwere der Lungenschädigung ab. Wir unterscheiden verschiedene Reaktionsmuster, die sehr unterschiedlich verlaufen. Dominieren bei der ILD die entzündlichen Prozesse, können wir heutzutage die Erkrankung gut behandeln, wenn wir sie früh genug erkennen. Bei rheumatoider Arthritis etwa können wir durch die richtige Therapie die Entzündung zum Stillstand bringen und im Idealfall so gut behandeln, dass die Prozesse im Lungengewebe gestoppt werden und die Lungenfunktion erhalten bleibt. Das ist vergleichbar mit der Entzündung an den Gelenken, die zum Stillstand kommt und dann keinen Schaden mehr verursachen kann.
Wie stellen Ärztinnen und Ärzte die Diagnose?
Zum Beispiel beim Abhören – das klingt zwar sehr altmodisch, liefert aber erste wichtige Hinweise: Bei ILD hört der Arzt ein charakteristisches Knisterrasseln über der Lunge. Weiterhin kann der Rheumatologe zum Lungenfacharzt überweisen, der verschiedene Lungenfunktionstests durchführen kann – oder zum Radiologen für eine spezielle Schichtröntgenuntersuchung, dem sogenannten HRCT. Wann welcher Test eingesetzt wird, hängt stark vom ILD-Risiko ab. So sollten Patienten mit systemischer Sklerose bei Diagnosestellung grundsätzlich mittels HRCT untersucht werden.
Gibt es Risikofaktoren für die Entwicklung einer ILD?
Tatsächlich kennen wir Risikogruppen, bei denen es häufiger zu einer Interstitiellen Lungenerkrankung kommt. Das sind bei der RA in erster Linie Männer mit bestimmten Blutwerten, nämlich Rheumafaktor und CCP-Antikörper, auch ACPA genannt. Raucher sind ebenfalls deutlich häufiger betroffen. Darüber hinaus wurde vor Kurzem ein genetischer Risikofaktor für eine Lungenbeteiligung bei der RA entdeckt: Für Männer mit dieser genetischen Besonderheit liegt das Risiko für eine ILD bei fast 20 Prozent. Bei der systemischen Sklerose sind es zum Beispiel Patienten mit dem Scl-70-Autoantikörper, die häufiger und schwerer von einer ILD betroffen sind als Patienten ohne diesen immunserologischen Marker.
Kann man einer Lungenbeteiligung vorbeugen?
Bis auf das Nichtrauchen ist das schwierig. Neben Tabak scheinen auch andere sogenannte inhalative Noxen eine Rolle zu spielen, also Schadstoffe, die wir bewusst oder versehentlich einatmen. Dazu gehört beispielsweise Feinstaub. Auch die genetische Vorbelastung scheint eine Rolle zu spielen. Alles Faktoren, die wir nicht oder kaum beeinflussen können.
Bringt es Betroffenen etwas, mit dem Rauchen aufzuhören?
Wahrscheinlich ja, denn Rauchen stellt einen erheblichen Risikofaktor dar. Wir wissen allerdings noch nicht, wie schnell dieses Risiko wieder sinkt, wenn man mit dem Rauchen aufhört. Man muss aber davon ausgehen, dass es viele Jahre dauert, bis das erhöhte Risiko wieder sinkt.
Welche Medikamente kommen bei einer Lungenbeteiligung zum Einsatz?
Zunächst steht die gute Behandlung der rheumatischen Grunderkrankung auf dem Plan. Es gibt gute Daten, die zeigen, dass die Lunge vor allem dann leidet, wenn die Krankheitsaktivität hoch ist. Dann kann man die Basistherapie wechseln, denn es gibt Medikamente, die besser auf die Lunge wirken als andere. So ist MTX bei der RA – anders als man früher dachte – sogar gut für die Lunge.
Bei den Biologika gibt man bei der RA zwei Wirkstoffen den Vorzug bei einer Lungenbeteiligung: Abatacept und Rituximab. Für die Sklerodermie gilt: Wenn der Hautbefund voranschreitet, schreitet auch oft der Lungenbefund voran. Beim Lungenbefall werden Immunsuppressiva wie Cyclophosphamid oder Mycophenolat-Mofetil (MMF) eingesetzt, zukünftig sicher auch Biologika. Liegt bereits eine Fibrose vor, kommt zusätzlich das neue Medikament Nintedanib zum Einsatz. Es kann den Prozess der zunehmenden Vernarbung der Lunge verlangsamen.
Wie verhält es sich mit Rheumaknoten in der Lunge? Wann treten diese auf?
Rheumaknoten können auch in der Lunge auftreten, praktisch ausschließlich bei Patienten mit Rheumafaktoren oder ACPA. Oft gibt es dann eine große Aufregung, weil man zu Beginn nicht sagen kann, ob es Lungenkrebs ist oder diese gutartigen Gewebeveränderungen. Rheumaknoten haben aber mit der Interstitiellen Lungenerkrankung nichts zu tun und beeinträchtigen die Lungenfunktion nur, wenn sie gehäuft auftreten und sich stark vergrößern.
Gibt es noch andere Erkrankungen bei Rheuma, die die Lunge betreffen?
Wenn man auf die Bronchien schaut, sieht man bei Patientinnen und Patienten mit Rheuma vergleichsweise häufig Asthma und sogenannte obstruktive Atemwegserkrankungen. Auch das sollte für den Rheumatologen ein Grund sein, seine Patienten regelmäßig abzuhören.
Tatsächlich ist es möglich, dass für bestimmte Rheumaarten die immunologische Initialzündung für die Erkrankung in den Bronchien erfolgt. Das gilt insbesondere für RA-Betroffene mit Rheumafaktor und CCP-Antikörpern. Eingeatmete Schadstoffe führen möglicherweise in den Bronchien zu einem Entzündungsprozess. Das aktiviert das lymphatische Gewebe in den Bronchien. Es gibt Hinweise darauf, dass in diesem Gewebe in den Bronchien diese Antikörper schon gebildet werden, lange bevor die ersten Gelenkbeschwerden auftreten. Das gilt aber nicht für alle Patientinnen und Patienten – ein weiterer Startschuss kann von chronisch-entzündlichen Problemen in den Zahnfleischtaschen ausgehen.
Eine italienische Studie hat gezeigt, dass Menschen, die stärker Feinstäuben ausgesetzt sind, häufiger an Rheuma erkranken. Nun müssten wir den nächsten Schritt gehen und dafür sorgen, die Belastung mit solchen Schadstoffen in der Luft möglichst zu verringern.
Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 2-2023. Sechs Mal im Jahr erhalten nur Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift (jetzt Mitglied werden).