Änderung der Arzneimittelrichtlinie
Am 20. August 2020 hat der Gemeinsame Bundesausschuss eine Änderung der Arzneimittelrichtlinie beschlossen. Ärzte müssen danach Biologika im Sinne einer „wirtschaftlichen Verordnungsweise“ verschreiben. Ziel dieser Änderung ist es, den Anteil der kostengünstigeren Biosimilars bei der Verschreibung von Biologika zu erhöhen, um somit Kosten einzusparen.
Wirtschaftliche Verordnungsweise
Diese Verordnungsweise ist bereits Realität, wenn es um die Verschreibung herkömmlicher Arzneimittel geht. Möchte der Arzt beispielsweise Acetylsalicylsäure (Aspirin) verschreiben, so bekommen Patienten eventuell nicht das Original, sondern ein kostengünstigeres Arzneimittel eines anderen Herstellers mit dem identischen Wirkstoff (Generikum) verschrieben.
Die Neuerung in der Arzneimittelrichtlinie ist, dass diese Verordnungsweise ab sofort auch für Biologika gilt, und zwar ganz konkret für den Wechsel von den teuren Originalbiologika zu den preisgünstigen Biosimilars. Diese Änderung der Arzneimittelrichtlinie war notwendig, da Biosimilars – im Gegensatz zu den Generika – nicht identisch zum Originalbiologikum, sondern nur ähnlich sind, obwohl sie die gleiche Wirkstoffbezeichnung tragen.
Wie wirkt sich die Änderung für Menschen mit Rheuma aus?
Wenn Betroffene mit rheumatischen Erkrankungen in Zukunft zu ihrem Rheumatologen gehen, um ein neues Rezept abzuholen, muss der Arzt überprüfen, ob das bisherige Arzneimittel tatsächlich preisgünstig ist. In erster Linie muss der Arzt vergleichen, ob Biologika mit der gleichen Wirkstoffbezeichnung (zum Beispiel Adalimumab oder Etanercept) in Deutschland auf dem Markt sind.
Was in welcher Situation passiert:
Fall 1: Es gibt kein weiteres Biologikum mit der gleichen Wirkstoffbezeichnung. In diesem Fall ändert sich gar nichts, der Betroffene erhält weiterhin sein bisheriges Arzneimittel.
Fall 2: Es liegen mehrere Biologika mit der gleichen Wirkstoffbezeichnung vor, also ein Originalbiologikum und wenigstens ein Biosimilar. Der Arzt muss prüfen, ob die Krankenversicherung des Betroffenen einen Rabattvertrag für das bisherige Arzneimittel hat. Ist dies der Fall, ändert sich wiederum nichts – der Betroffene erhält weiter das bisherige Arzneimittel.
Fall 3: Es liegen mehrere Biologika mit der gleichen Wirkstoffbezeichnung vor, die Krankenversicherung des Betroffenen hat aber keinen Rabattvertrag mit dem Hersteller des bisherigen Arzneimittels abgeschlossen. Der Arzt muss ein Arzneimittel mit gleicher Wirkstoffbezeichnung heraussuchen, wofür zwischen Krankenversicherung und Hersteller ein Rabattvertrag besteht. In der Praxis bedeutet dies vermutlich vor allem, dass Betroffene anstelle des Originalbiologikums in Zukunft ein Biosimilar mit gleicher Wirkstoffbezeichnung verschrieben bekommen. Aber auch wenn ein Betroffener bereits ein Biosimilar bekommt, für das kein Rabattvertrag besteht, muss er auf ein anderes Biosimilar mit gleicher Wirkstoffbezeichnung (oder sogar auf das Originalbiologikum) umgestellt werden, wenn für dieses wiederum ein Rabattvertrag existieren sollte. Sollten für das Originalbiologikum und seine Biosimilars keine Rabattverträge existieren, muss der Arzt über andere Wege herausfinden, welches Arzneimittel preisgünstig ist.
Wie lange bleibt es beim Austausch?
Solange die Rabattverträge laufen, müssen keine weiteren Wechsel erfolgen. Die Rabattverträge sollen in der Regel zwei Jahre laufen, können danach aber auch verlängert werden. Insofern ist es möglich, dass die Änderung der Arzneimittelrichtlinie auch über Jahre hinweg keine Auswirkung auf den einzelnen Betroffenen hat. In Sonderfällen kann es aber auch passieren, dass ein Betroffener neu auf ein Biologikum eingestellt wird, dessen Rabattvertrag in Kürze ausläuft. In diesem Fall müsste der Betroffene schon nach weniger als zwei Jahren erneut umgestellt werden.
Welche Ausnahmen wird es geben?
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat betont, dass der Arzt unter Würdigung patientenindividueller und erkrankungsspezifischer Aspekte von einem Therapiewechsel absehen kann. Dies kann zum Beispiel greifen, wenn der Patient noch nicht stabil auf ein Arzneimittel eingestellt ist. Aber auch Nebenwirkungen, die bereits bei einer früheren Behandlung mit dem preisgünstigen Arzneimittel aufgetreten sind, können natürlich ein Grund sein, warum der Arzt vom Therapiewechsel absehen kann.
Wie sicher ist der Austausch?
Biosimilars sind eine wirksame und sichere Alternative zu den Originalbiologika bei der Behandlung von rheumatischen Erkrankungen. Dies ist in zahlreichen, qualitativ hochwertigen Studien gezeigt worden. Die Deutsche Rheuma-Liga sieht den Platz der Biosimilars vor allem bei der Neueinstellung von Patienten. Aber auch ein einmaliger Therapiewechsel von einem Originalbiologikum auf ein deutlich preisgünstigeres Biosimilar kann nach Absprache mit dem Betroffenen erwogen werden, um die Ressourcen des Gesundheitssystems zu schonen.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass der einmalige Wechsel von einem Originalbiologikum auf ein Biosimilar unbedenklich ist.
Welche Wirkstoffe werden ausgetauscht?
Derzeit (Stand: 10. November 2020) ist die Änderung der Arzneimittelrichtlinie nur für die Wirkstoffe Adalimumab, Etanercept, Infliximab, Rituximab und Teriparatid relevant. Nur für diese Wirkstoffe sind in Deutschland zurzeit Biosimilars im Feld der Rheumatologie zugelassen. Betroffene, die mit anderen Biologika oder Januskinase-Inhibitoren behandelt werden, sind von der Änderung der Arzneimittelrichtlinie und damit von derartigen Therapiewechseln aus Kostengründen momentan (Stand: 10. November 2020) nicht betroffen.
Auf der Internetseite der Deutschen Rheuma-Liga befindet sich eine Übersicht über die in Deutschland zugelassenen Originalbiologika und eventuelle Biosimilars.
Was sagt die Rheuma-Liga zu diesen Änderungen?
Die Deutsche Rheuma-Liga hat sich im Gemeinsamen Bundesausschuss zusammen mit anderen Patientenorganisationen geschlossen gegen die Änderung der Arzneimittelrichtlinie gestellt. Wir kritisieren vor allem die Möglichkeit, dass die Betroffenen allein aus Kostengründen unter Umständen mehrfach von einem Biosimilar (oder dem Originalbiologikum) zu einem anderen Biosimilar (oder zum Originalbiologikum) beziehungsweise wieder zurück wechseln müssen. (Komplette Stellungnahme der Deutschen Rheuma-Liga)
Was hat die Deutsche Rheuma-Liga erreicht?
Die Deutsche Rheuma-Liga hat gemeinsam mit den anderen Patientenorganisationen durchgesetzt, dass im Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses verankert wird, dass der Arzt den Betroffenen über die Gründe der Umstellung informieren soll. Außerdem sollen der Arzt oder das medizinische Fachpersonal die Handhabung des neuen Arzneimittels demonstrieren. Mit dieser Maßnahme hofft die Deutsche Rheuma-Liga, dass es zu weniger Anwendungsfehlern kommt und es Betroffenen leichter gemacht wird, das neue Präparat zu akzeptieren. Die Tatsache, dass der Arzt unter Würdigung patientenindividueller und erkrankungsspezifischer Aspekte von einem Therapiewechsel absehen kann, geht ebenfalls auf die Bemühungen der Deutschen Rheuma-Liga und der anderen Patientenorganisationen zurück. Darüber hinaus hat die Patientenvertretung bewirkt, dass dem Arzt in Zukunft eine offizielle Liste zur Verfügung steht, welche Arzneimittel gegeneinander ausgetauscht werden sollen.
Wann tritt die Änderung in Kraft?
Der Beschluss wurde noch im November vom Bundesministerium für Gesundheit geprüft und im Bundesanzeiger veröffentlicht. Er ist somit bereits in Kraft.
Wie wird es weitergehen?
Die Änderung der Arzneimittelrichtlinie ist Teil eines Gesetzes mit dem Ziel, dass ab dem Jahr 2022 nicht der Arzt, sondern der Apotheker das preisgünstige Biologikum (Originalbiologikum oder Biosimilar) auswählt (automatische Substitution). Die Deutsche Rheuma-Liga wird sich in den weiteren Verhandlungen im Gemeinsamen Bundesausschuss für die Patienteninteressen und gegen diese automatische Substitution einsetzen.
Autor: Dr. Jürgen Clausen ist Forschungsreferent der Deutschen Rheuma-Liga.