Antikörper gehören zu den wirkungsvollsten Waffen unseres Immunsystems. Sie erkennen bestimmte Strukturen – sogenannte Antigene – von Fremdkörpern und Krankheitserregern sehr präzise und binden an sie. So können sie verhindern, dass Viren in unsere Zellen eindringen. Sie kennzeichnen Fremdstoffe für Fresszellen oder vermitteln das Töten von Krankheitserregern und Krebszellen gleich selbst.
Weiterhin schützen Antikörper unsere Schleimhäute und Antikörper im Blut den ganzen Körper. Antikörper spiegeln daher nicht nur den Erfolg von Impfungen und überstandenen Infektionen wider, sondern bilden auch einen Schutzwall gegen genau diese Erreger.
Antikörper auf Abwegen
Es gibt allerdings auch Antikörper, die statt „fremder“ Krankheitserreger körpereigene Strukturen erkennen. Man nennt sie deshalb Autoantikörper. Sie kommen bei vielen rheumatischen Krankheiten vor. Bekannte Beispiele sind die Antikörper gegen citrullinierte Proteine (ACPA, Anti-Citrullinated Peptide Antibodies) bei Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA), und die Antikörper gegen unsere Erbsubstanz Desoxyribonukleinsäure (DNS) bei Betroffenen mit systemischem Lupus erythematodes (SLE).
Wenn man bedenkt, wie wirkungsvoll Antikörper Krankheitserreger angreifen, wird klar, dass Autoantikörper im Krankheitsgeschehen eine wesentliche Rolle spielen können. Ein Beispiel ist die chronische Nierenentzündung bei SLE: Sie wird durch Komplexe von Autoantikörpern und daran gebundener körpereigener DNS in den Nieren hervorgerufen. Man kann die Antikörper aus dem Blut herausfiltern (Plasmapherese), aber nach kurzer Zeit sind sie meist wieder da. Warum ist das so?
Plasmazellen produzieren Antikörper
Antikörper werden von Antikörper produzierenden Zellen hergestellt, den Plasmazellen. Diese entwickeln sich aus bestimmten Abwehrzellen, sogenannten B-Lymphozyten. B-Lymphozyten tragen den Antikörper als Antenne für Antigene auf ihrer Zelloberfläche. Erkennt ein B-Lymphozyt nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip mit dem Antikörper „sein“ Antigen, zum Beispiel Oberflächenmoleküle von Viren oder körpereigenen Proteinen, wird er aktiviert und entwickelt sich zu einer Plasmazelle. Diese schüttet massenweise genau diesen Antikörper aus: mehrere Tausend Moleküle.
Die meisten Plasmazellen sterben nach einigen Wochen wieder ab, wenn die Immunreaktion aufhört. Doch einige überleben und wandern in das Knochenmark. Dort bilden sie weiter über Jahre und Jahrzehnte hinweg Antikörper. Wir nennen solche Plasmazellen Gedächtnis-Plasmazellen. Sie verleihen uns Immunität gegen einmal erlebte Krankheitserreger. Damit sind sie Teil des immunologischen Gedächtnisses. Die Antikörper der Gedächtnis-Plasmazellen bieten uns daher Schutz über Jahrzehnte.
Wird der Antikörperschutz überwunden, wenn zum Beispiel mehr Krankheitserreger in den Körper eindringen, als durch die vorhandenen Antikörper bekämpft werden können, werden sogenannte B- und T-Gedächtniszellen aktiviert. Diese stammen aus vorangegangenen Immunreaktionen und sorgen dafür, dass der Körper in der erneuten Immunreaktion noch mehr Antikörper produzierende Plasmazellen bildet, bis der Krankheitserreger verschwunden ist.
Gedächtniszellen, die fatalerweise körpereigene Strukturen als Antigene erkennen, werden immer wieder aktiviert, weil das Immunsystem das Antigen nicht eliminieren kann. Es entsteht eine chronische Entzündung. Sie wird heute meist behandelt, indem die Aktivierung der Immunzellen blockiert wird, aktivierte Immunzellen eliminiert und die Reaktion des Körpers auf Autoantikörper gehemmt wird. Stoppt diese Behandlung, kann die Entzündung wieder aufflammen: Gedächtnis-Plasmazellen überleben diese Therapien meist unbeschadet und schütten weiter Autoantikörper in großen Mengen aus.
Radiergummi für Plasmazellen
Es gibt allerdings eine Behandlung, die sie nicht überleben: Durch eine sogenannte Immunablation mit therapeutischen Antikörpern können alle Gedächtniszellen des Immunsystems getötet werden. Baut man bei den Betroffenen das Immunsystem aus körpereigenen Stammzellen wieder auf, verschwindet die Krankheit meist. So eine Rosskur ist allerdings mit ernsthaften Nebenwirkungen verbunden. Das komplette immunologische Gedächtnis und damit die Immunität gegen alle Krankheitserreger geht verloren. Normalerweise harmlose Infektionen können nach einer solchen Behandlung ernsthafte bis tödliche Konsequenzen haben.
Inzwischen gibt es einige Medikamente wie Daratumumab, Bortezomib oder Atacicept, die Plasmazellen gezielt angreifen. Allerdings treffen all diese Medikamente sowohl die schützenden Plasmazellen, die durch Impfungen und überstandene Infektionen entstehen, als auch die krank machenden Plasmazellen, die Autoantikörper ausschütten. Gibt es Wege, ausschließlich die krank machenden Immungedächtniszellen gezielt zu entfernen? Um solche neuartigen Therapien zu entwickeln, müssen wir verstehen, wie die Gedächtniszellen des Immunsystems überhaupt überleben, insbesondere die Gedächtnis-Plasmazellen, die Antikörper oder auch Autoantikörper produzieren.
Geschützte Lage im Knochenmark
Wenn Plasmazellen bei einer Immunreaktion in den Lymphknoten aus aktivierten B-Lymphozyten entstehen, sterben die meisten nach wenigen Tagen dort wieder ab. Deshalb hat man lange irrtümlich angenommen, dass Plasmazellen kurzlebig sind. Man hat sich deshalb keine Gedanken darüber gemacht, sie therapeutisch anzugehen. Stattdessen hatte man ihre Vorläufer, die B-Lymphozyten, im Visier. Überraschenderweise verschwinden weder die Autoantikörper noch die uns schützenden Antikörper, etwa gegen Masern und Tetanus, wenn man B-Lymphozyten eliminiert, zum Beispiel mit Rituximab. Inzwischen weiß man, dass Plasmazellen in entzündetes Gewebe wandern können.
In diesen Geweben finden die Plasmazellen Bedingungen, die ihr Überleben begünstigt. Sitzen die Plasmazellen im entzündeten Gewebe, sterben sie, sobald die Entzündung aufgelöst wird. Sitzen sie jedoch im Knochenmark, stellen sie ein großes Problem für die Therapie von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen dar. Dort produzieren sie ständig schädigende Antikörper und sind vor konventioneller Therapie geschützt.
Die Wiege der Abwehr Das Knochenmark ist sozusagen die Wiege des Immunsystems. Dort werden alle Zellen des Immunsystems gebildet, und dorthin kehrt auch ein Teil der Gedächtnislymphozyten zurück, denn dort finden sie Zellen, die sie am Leben erhalten: Sie binden an sogenannte Stromazellen, das sind besondere Zellen des Bindegewebes. Dadurch wird die Plasmazelle fest im Knochenmark verankert. Die Bindung an die Stromazelle macht die Plasmazelle resistent gegen Stress. So kann sie jahrelang überleben. Wird der Kontakt zur Stromazelle unterbrochen, stirbt die Plasmazelle innerhalb kurzer Zeit. Zurzeit ist noch unklar, wie die Verbindung zwischen Stromazelle und Plasmazelle genau beschaffen ist.
Gibt es Unterschiede zwischen Plasmazellen, die schützende Antikörper produzieren, und Plasmazellen, die krank machende Antikörper herstellen? Möglicherweise, wie aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum andeuten. Plasmazellen, die Antikörper der Klasse IgG produzieren, zu denen auch viele Autoantikörper gehören, werden selektiv nach einer Salmonelleninfektion getötet.
Die Forscher konnten zeigen, dass die Salmonellen ein bestimmtes Protein produzieren, dass die Interaktion zwischen Plasmazelle und Stromazelle stört. Diese Interaktion scheint nur für das Überleben von IgG-Plasmazellen wichtig zu sein. Damit könnte es sich dabei um einen möglichen Angriffspunkt handeln, um solche Zellen gezielt zu eliminieren. Diese Forschungsergebnisse sind ein Hinweis darauf, dass die Verbindung zwischen Stromazelle und Plasmazelle ein Schlüssel zur gezielten Entfernung von Plasmazellen sein könnte, die krank machende Autoantikörper produzieren. Wenn Forscher besser verstehen, wie Gedächtnis- Plasmazellen und Stromazellen miteinander kommunizieren, könnte dies die Grundlage für die Entwicklung neuer Therapien gegen Autoimmunerkrankungen darstellen.
Autoren: Rebecca Cornelis, Prof. Hyun-Dong Chang und Prof. Andreas Radbruch sind am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin, ein Leibniz-Institut, beschäftigt. Prof. Chang ist außerdem am Institut für Biotechnologie an der Technischen Universität Berlin tätig.