In der Physiotherapie stehen oft andere Gelenke als die Schulter im Vordergrund. Doch es lohnt sich, bei ersten Alarmsignalen zu reagieren, betont Physiotherapeut Mariusz Wachala im Interview mit Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil". Er ist Physiotherapeut am RTZ Nürnberg und seit über 20 Jahren in der Rheumatologie tätig.
Herr Wachala, was sind die häufigsten Schulterprobleme bei Menschen mit und ohne rheumatischer Erkrankung?
Natürlich gibt es sehr viel verschiedene Ursachen. Vieles kann man unter einen Sammelbegriff fassen, dem sogenannten Impingementsyndrom. Darunter versteht man einen Engpass zwischen Schulterkopf und Schulterdach. Dadurch werden Muskeln, Sehnen oder Sehnenansätze zusammengedrückt, was zu Schmerzen führt. Betroffene nehmen oft eine Schonhaltung ein, außerdem ist die Beweglichkeit der Schulter eingeschränkt.
Zudem kann das Gelenk natürlich verschleißen. Aber weil das Schultergelenk ein muskelgeführtes Gelenk ist, spielt neben der Haltung auch das Zusammenspiel der Muskeln eine wichtige Rolle. Aus meiner Sicht entstehen viele Schulterprobleme durch Weichteile. Das führt dazu, dass die Schulterprobleme nicht rechtzeitig erkannt und interpretiert werden. Oft kommt der erste MRT-Befund erst dann, wenn der Weichteilmantel schon starke Veränderungen zeigt, insbesondere einen Abbau. Oft sind die Möglichkeiten für eine konservative Behandlung eingeschränkt, eine Operation erscheint dann unvermeidbar.
Welche Rolle spielt körperliche Belastung für Schulterprobleme?
Die Haltung spielt dabei eine wichtige Rolle, aber auch eine sogenannte Dysbalance der Muskeln, etwa durch die Arbeit. Das gilt für sehr viele unserer Patienten, die handwerkliche Berufe haben oder die ihre Schultern einseitig belasten, etwa durch Fließbandarbeit oder Arbeiten in der Industrie. Dann klagen auch schon junge Menschen über Schulterbeschwerden.
Wer im Büro arbeitet, hat zwar auch manchmal Schulterschmerzen. In der Regel ist dann aber der Nacken verspannt, und die Schmerzen strahlen in die Schulter aus.
Welche Probleme haben Menschen mit Rheuma häufig an der Schulter?
Ein typisches Probleme bei rheumatischen Erkrankungen ist eine sogenannte Insuffizienz, also Schwäche, des Kapsel-Band-Apparates der Schulter. Weil die Schulter aber ein muskelgeführtes Gelenk ist, kommt es nicht gleich zu Achsenabweichungen wie an der Hand oder am Knie. Für den Patienten sind solche Probleme deutlich einfacher zu beheben, denn er kann selbst aktiv werden, die Muskeln trainieren und so seine Beschwerden lindern.
Der Nachteil ist allerdings, dass Probleme an der Schulter oft erst spät diagnostiziert werden, weil der Funktionsverlust nicht so groß ist. Das typische Problem bei rheumatischen Erkrankungen ist, dass viele Gelenke gleichzeitig betroffen sind. Bei Einschränkungen in der Hand oder am Ellenbogen kompensieren viele Betroffene ihre Probleme durch mehr Bewegung in den Schultergelenken. Diese werden daher mehr belastet.
Trotzdem nehmen viele die ersten Symptome an der Schulter nicht wahr. Das gilt besonders, wenn die Beschwerden einen chronischen Verlauf haben und der Schmerz nicht in den Vordergrund rückt. Viele werden erst auf die Schulter aufmerksam, wenn es schon fast zu spät ist und Versteifungen drohen.
Gibt es eine Möglichkeit, eine Schulterbeteiligung frühzeitig zu diagnostizieren?
Der Physiotherapeut kann den Patienten von hinten beobachten, während dieser die Arme langsam hochhebt. Dabei kann man gut eine Verschiebung des Bewegungsrhythmus des Schulterblattes auf dem Brustkorb feststellen. Eine solche Verschiebung einer Seite spricht dafür, dass der Patient oft unbewusst eine Schonhaltung annimmt und ist damit ein wichtiges Zeichen für die Früherkennung von Schulterproblemen.
Ein Alarmsignal ist, wenn man den Arm nicht mehr ganz nach oben heben kann oder deutlich weniger Kraft in den Armen und Schultern hat. Betroffene merken das dann zum Beispiel, wenn es ihnen plötzlich schwerer fällt, über Kopf zu arbeiten, zum Beispiel, die Vorhänge aufzuhängen. Oder wenn sich die Damen ihren BH nicht mehr selbst hinter dem Rücken schließen können. Das sind Alarmsignale, bei denen man aufmerksam werden sollte. Im Lauf der Zeit kommt es zu einem Abbau der Muskeln, was man daran erkennen kann, dass sich die Konturen des Schulterblatts abflachen. Der Patient merkt dann den Kraftverlust, außerdem schmerzen ausladende Bewegungen.