Osteoporosemedikamente können in seltenen Fällen Nebenwirkungen auf den Kiefer haben. Worauf müssen Betroffene achten? Wie kann man vorbeugen? Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil", sprach darüber mit dem Osteologen Prof. Peter M. Kern.
Professor Kern, warum sollte man zum Zahnarzt gehen, bevor eine Osteoporosetherapie startet?
Es gib drei Therapieprinzipien für die Behandlung von Osteoporose, von denen wir wissen, dass sie eine sogenannte aseptische Kiefernekrose verursachen können. Darunter versteht man einen Untergang von Knochengewebe im Kiefer, der nicht von Bakterien verursacht wird. Die Wege, die dazu führen, sind noch nicht klar. Betroffen sind alle Bisphosphonate, also Präparate wie Alendronsäure, Ibandronsäure, Risedronsäure und Zoledronsäure, sowie die monoklonalen Antikörper Denosumab und Romosozumab.
Wie häufig sind solche Kiefernekrosen?
Grundsätzlich sind sie sehr selten. Studien liefern gute Anhaltspunkte. Demnach liegt das Risiko für eine Kiefernekrose während oder nach einer Osteoporosetherapie in der Größenordnung von 0,1 Prozent. Das bedeutet, dass eine von 1.000 Patientinnen, die Bisphosphonate oder Denusomab gegen Osteoporose bekommt, eine Kiefernekrose erleidet. Wenn man eine gründliche Vorsorge betreibt und alles tut, um weitere Risikofaktoren zu minimieren, kann man das Risiko noch mal um den Faktor zehn auf 0,01 Prozent senken. Von 10.000 Osteoporosepatientinnen, die eines der
fraglichen Medikamente erhalten, ist dann nur noch eine von Kiefernekrose betroffen.
Welche Faktoren können dazu beitragen, das Risiko für eine Kiefernekrose zu senken?
Wir empfehlen, dass jede Betroffene mit ihrem Zahnarzt bespricht, wenn eine Osteoporosetherapie ansteht. In der Regel handelt es sich bei der Behandlung ja um keinen Notfall, sodass dafür auch ausreichend Zeit ist: Osteoporose ist zwar eine schlimme Erkrankung, aber keine schnelle! Der Zahnarzt sollte klären, ob im Mund zusätzliche Faktoren vorliegen, die eine Kiefernekrose begünstigen. Dazu gehören Druck- oder Scheuerstellen, etwa bei einer Prothese, oder Infektionen am Zahnfleisch sowie Kieferwunden, etwa, wenn ein Zahn gezogen wurde. Solche Stellen müssen behandelt werden, bevor man mit den Osteoporosemedikamenten startet.
Idealerweise stimmt man mit dem Zahnarzt ab, welche Eingriffe vorher noch erfolgen sollten. Während der Therapie sollte man außerdem halbjährlich zum Zahnarzt gehen. Wenn man dies beachtet, ist das Risiko minimal. Falls Anzeichen einer Nekrose auftreten, stoppt man die Therapie und trifft weitere Gegenmaßnahmen. Rechtzeitig erkannt, kann man den Schaden begrenzen.
Viele machen sich Sorgen wegen dieser Nebenwirkung. Wie sehen Sie das als Osteologe?
Ich sehe das Risiko, aber auf der anderen Seite muss man verstehen, dass man mit der Osteoporosetherapie Knochenbrüche und viel Leid verhindert. Der Dachverband Osteologie empfiehlt eine Osteoporosetherapie, wenn das Risiko für einen Knochenbruch bei 30 Prozent für die nächsten zehn Jahre liegt. Die Medikamente können mindestens jede zweite Fraktur verhindern.
Wenn man wieder 10.000 Betroffene anschaut, würden von diesen ohne Osteoporosetherapie innerhalb eines Jahres mindestens 300 einen Knochenbruch erleiden. Wir verhindern also mindestens 150 Knochenbrüche, die mit starken Schmerzen, Immobilität und viel Leid einhergehen. Man denke nur an Schenkelhalsfrakturen im höheren Lebensalter, die in 20 Prozent der Fälle binnen eines Jahres sogar tödlich verlaufen. Dafür müssen wir statistisch gesehen einen Fall von Kiefernekrose in Kauf nehmen. Wenn man diese Zahlen anschaut, darf die Angst vor der sehr seltenen Kiefernekrose nicht dazu führen, dass man auf eine medizinisch notwendige Osteoporosetherapie verzichtet.
Gibt es Alarmsignale für Kiefernekrosen?
Eigentlich nicht – im frühen Stadium kann nur der Zahnarzt feststellen, ob es eine Druckstelle oder Ähnliches gibt.
Wenn eine Betroffene Bisphosphonate oder Denusomab nimmt und eine Kieferoperation oder ein Zahnimplantat ansteht – wird dann die Osteoporosemedikation unterbrochen oder verändert?
Das müssen Osteologe und Zahnarzt im Einzelfall entscheiden. Für Zahnimplantate spielt die Knochenfestigkeit eine wichtige Rolle. Unter Umständen ist eine erfolgreiche Osteoporosetherapie sogar Voraussetzung dafür, dass eine Versorgung mit Implantaten erfolgen kann. Bei der Medikation muss man sagen, dass Bisphosphonate die Therapie der ersten Wahl sind. Und es nützt auch nichts, Bisphosphonate kurzfristig für einen Kiefereingriff abzusetzen, weil die Medikamente über Jahrzehnte hinweg im Knochen verbleiben. Deshalb müssen Betroffene auch nach abgeschlossener Therapie wachsam bleiben.
Können Betroffene etwas selbst tun, etwa die Versorgung mit Vitamin D und/oder Kalzium oder Vitamin K verbessern?
Leider gibt es keine kurzzeitigen Gegenmaßnahmen, die das Risiko mindern. Wichtig ist vor allem der regelmäßige Gang zum Zahnarzt!
Zur Person: Prof. Peter M. Kern ist Internist, Rheumatologe, Osteologe (DVO) und Facharzt für Spezielle Internistische Intensivmedizin. Er ist Direktor der Medizinischen Klinik IV (Rheumatologie, Immunologie und Osteologie) am Klinikum Fulda gAG Universitätsmedizin Marburg – Campus Fulda.