"Als erstes kam Prednisolon. Dann MTX. Enbrel. Humira. Remicade. Rituximab. Tocilizumab. Azathioprin. Arava. Olumiant. Xeljanz. Erelzi. Jetzt die Nummer 13: Rinvoq.
13 Buchstabenkombinationen. 13 Stoffmischungen. 13 Versuche einen Teil von mir zu verbessern. 13 Medikamente, die mich durch meine Krankheitsgeschichte begleitet haben, ein bisschen wie Freundschaften. 13 Basismedikamente in 22 Jahren.
13: Eine Zahl, die manchen Menschen einen Schauer über den Rücken jagt. Die 13 gilt als Teufelszahl; Freitag der 13. als Unglückstag. Im Tarot bedeutet die Karte 13 „Tod“. In den USA gibt es selten einen 13. Stock und selbst im Deutschen Sozialgesetzbuch hat man das SGB XIII übersprungen.
Unglückszahl 13? Nicht für mich.
Für mich bedeutet die 13 etwas anderes: Zukunft.
Für mich ist es die Glückszahl 13.
Unsichtbar
Über junge Menschen mit Rheuma wird nicht viel gesprochen. In der Gesellschaft sind wir fast nicht sichtbar. Dabei ist es gerade dann, wenn die Diagnose schon in Kindertagen gestellt wird, wichtig in eine hoffnungsvolle Zukunft blicken zu können. Mit sechs Jahren verstand ich nicht genau, was eine „Juvenile Idiopathische Arthritis“ bedeutet, aber ich hatte das Gefühl, dass sie meine Zukunft beeinflussen wird. Vielleicht musste ich deswegen etwas früher erwachsen werden als andere. Werde ich mit der Diagnose die Schule schaffen? Wie werden meine Freunde darauf reagieren? Darf ich noch überall mitspielen?
Auch Jahre später wurden meine Fragen nicht weniger: Geht Abitur trotz Rheuma? Kann ich ausziehen und mich um einen Haushalt kümmern? Schaffe ich es zu studieren? Habe ich genug Energie für mein Sozialleben und ein Studium? Werde ich trotz meiner Beeinträchtigungen einen Job finden? Was, wenn ich zu oft krank bin? Wie wird all das auf mein Beziehungsleben Einfluss nehmen? Bin ich mit meinen Problemen überhaupt noch attraktiv? Kann ich Kinder bekommen? Ist es sinnvoll für mich, so weit in die Zukunft zu planen?
Ein großer Teil meiner Baustellen ist nicht sichtbar. Die oberflächlich erkennbaren Spuren meiner Erkrankung stellen für mich die kleinsten Probleme dar. Was man nicht sieht sind die Schmerzen. Der Schlafmangel. Die Müdigkeit. Die scheinbar endlose Zeit, die ich mit Gesundheitsthemen verbringen muss. Die Frustration. Die Angst vor der Zukunft. All das belastet mich viel mehr als deformierte Hände und Füße.
Damals und Heute
„Eigentlich möchte ich nicht, dass mein Rheuma wieder weg geht. Irgendwie bin ich bin ja so, wie ich bin, weil ich mein Rheuma habe. Ich hab doch keine Ahnung, wie ich ohne aufgewachsen wäre! Vielleicht wäre ich dann total anders und würde mich gar nicht mögen.“, mit dieser Aussage habe ich als 8-Jährige meinen Eltern ganz schön die Sprache verschlagen, aber ich hatte recht: Ich bin so, wie ich bin. Mein Rheuma gehört zu mir und ich kann mein Leben nicht mehr ohne es Planen. Ich schaue anders in die Zukunft als gesunde Menschen: Es reicht nicht, nur Vertrauen in mich selbst und meine Fähigkeiten zu haben, in den Jobmarkt oder meine Ausbildung - ich muss auch noch mit diesem anderen Teil von mir umgehen. Dafür muss ich mich sowohl mit den Hoffnungen für meine Zukunft als auch mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen.
Dabei ist ein Blick zurück auf 22 Jahre Krankheitsgeschichte kein einfacher.
Manchmal hatte ich Glück: Mein Kleinstadt-Kinderarzt stellte bei mir sofort die richtige Diagnose. Bei anderen dauerte es Jahre, die verloren gingen. Im Jahr 2001 wusste man schon viel über die Behandlung von Rheuma, auch wenn das Wissen bei Kinder- und Jugendrheuma noch etwas dünn war. Nur wenige Jahre zuvor hätte es noch viel schlechter für mich ausgesehen: Auf der Kinder-Rheumastation traf ich auf junge Menschen, die mit den Konsequenzen des medizinischen Unwissens zu kämpfen hatten: Nur zwei Jahre vor meinem ersten Rheumaschub wurde einer jungen Patientin absolute Ruhe bei Schüben verschrieben. Gelenke wurden geschient und ruhig gestellt. Die Folge: Trotz guter Medikamente und verbesserter Therapien landete sie mit nur zehn Jahren im Rollstuhl. Meine Behandlung konnte von wichtigen Neuerungen profitieren, Mobilitäts- und Bewegungstherapie standen bereits mit auf dem Plan.
Aber natürlich läuft bei auch bei mir nicht alles gut: 20 Jahre nach meiner Diagnose schaut junges medizinisches Personal auf meine Hände und erwähnt erschrocken, dass man die Verformungen heutzutage nicht mehr so weit kommen lässt. Bei meinen Füßen wurde schlimm gepfuscht und dauerhafter Schaden angerichtet. Mag sein. Aber was bringt es mir, darüber zu jammern? Mir geht es besser mit dem Vertrauen, dass die Zukunft immer wieder Lösungen bringen wird, welche jetzt noch gar nicht vorstellbar sind.
Damit Verbunden ist die Gewissheit, dass medikamentöse Fehlversuche nicht das Ende bedeuten. Es ist wie mit meiner Glückszahl 13: Ich könnte betrauern, dass so viele Medikamente nicht funktioniert haben. Aber stattdessen freue ich mich lieber darüber, dass ich bereits mehrere Medikamente ausprobieren konnte, welche zuvor noch gar nicht auf dem Markt waren!
Ohne Menschen geht es nicht
Medizin allein ist nicht die Lösung. Nur dank vieler Menschen, welche mich auf meinem Weg begleitet haben, konnte ich bis dahin gehen, wo ich heute bin. Wenn die Zukunftsängste kommen oder Behandlungen missglücken brauche ich ein soziales Umfeld, auf das ich mich verlassen kann. Ich brauche Partnerschaften, die mich begleiten und so akzeptieren wie ich bin. Ich brauche Freunde, die mir helfen den Kopf abzuschalten und Freude zu spüren. Ich brauchte Eltern, die mir beigebracht haben für mich einzustehen, eigene Entscheidungen zu treffen und auch bei meinen Ärzt*Innen zu sagen was ich denke und fühle. Ich bin es leider gewohnt, mit Göttern in Weiß streiten zu müssen, nicht ernst genommen zu werden, das Gefühl zu bekommen, keine eigenen Entscheidungen über mich und meinen Körper treffen zu dürfen. Darum weiß ich auch zu schätzen, wie leicht es mir mein jetziger Rheumatologe macht, Teil meiner eigenen Behandlung zu sein. Er fragt nach meiner Meinung zu jedem Schritt und akzeptiert, dass ich meine Krankheit und meinen Körper am besten kenne. Er nimmt jede einzelne Verschlechterung ernst und tut was er kann anstatt mir weitere Steine in den Weg zu legen. Die letzten sechs Basismedikamente habe ich zusammen mit ihm durchprobiert.
Die Gegenwart ist meine Zukunft
Rheuma ist und bleibt ein Teil von mir. Es war kein leichter Weg und wird nie einer werden. Doch jedes mal, wenn mein Körper mich im Stich lässt, ist die Medizin ein kleines Stückchen weiter. Mit Mitte 20 bereits zwei neuen Hüften bekommen? Kein Thema! Nach weniger als einem Monat konnte ich wieder für Prüfungen lernen. Meine Hände müssen operiert werden? Noch schrecke ich davor zurück, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch da die Methoden besser werden. Medikament Nummer 13 wirkt nicht mehr? Es gibt bestimmt bald zwei neue auf dem Markt.
Jetzt gerade ist die Glückszahl 13 meine Gegenwart und damit hoffentlich auch meine Zukunft. Denn dank ihr und allen anderen Medikamenten, Ärzten und Therapien konnte ich meine Schule, mein Abitur und mein Studium schaffen. Ich bin von Zuhause ausgezogen, führe erfolgreiche Beziehungen und habe ein buntes Sozialleben. Kinder möchte ich wahrscheinlich nicht bekommen - aber das ist meine Entscheidung, nicht die meiner Erkrankung. 13 Basismedikamente habe ich gebraucht und 13 Studiensemester. Dank der Glückszahl 13 konnte ich meinen Bachelor in Psychologie abschließen. Jetzt wird es Zeit, meine Glückszahl mit anderen zu teilen. Dank ihr und meinem Beruf werde ich bald denen helfen können, die ihre Glückszahl noch nicht gefunden haben."
Autorin: Nora Sophia Dubilier bekam mit sechs Jahren die Diagnose Juvenile idiopathische Arthritis. "Ich wollte gern an dem Wettbewerb teilnehmen, da ich Rheuma unter jungen Menschen gern sichtbarer machen möchte", sagt die 28-Jährige zur Motivation, sich für den Edgar-Stene-Preis zu bewerben.