Etwa eine Milliarde Euro geben die Deutschen jährlich für Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) aus – auch gegen Arthrose. Lohnt sich das? Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil", sprach darüber mit den Orthopäden Dr. Martin Arbogast und Dr. Christoph Schwab.
Auch bei Arthrose bieten viele Ärztinnen und Ärzte Selbstzahlerleistungen an. Was raten Sie Betroffenen?
Dr. Christoph Schwab: Als Erstes sollte man darauf achten, dass die Ärztin oder der Arzt ausreichend über die Leistung aufklärt.
Fragen Sie nach, lassen Sie sich Vor- und Nachteile erklären! Das ist übrigens ureigene ärztliche Aufgabe, nicht die der medizinischen Fachassistenz. Hinterfragen Sie das Angebot kritisch und „kaufen“ Sie nicht gleich das Erstbeste.
Holen Sie gegebenenfalls eine zweite Meinung ein und vergleichen Sie die Preise. Das kann sich lohnen, denn die Tarife für individuelle Gesundheitsleistungen sind nicht festgelegt. Außerdem sollte man die jeweilige Krankenkasse anfragen, ob sie die Kosten nicht doch übernimmt. Sie haben ein Recht auf Bedenkzeit: IGeL sind nie eilig!
Dr. Martin Arbogast: Grundsätzlich kann man sich darauf verlassen, dass die gesetzlichen Krankenkassen alle notwendigen und etablierten Therapien bezahlen – auch bei Arthrose. Allerdings gibt es immer neuere Entwicklungen, die von den gesetzlichen Kassen „noch“ nicht erstattet werden. Unter Umständen ändert sich das, wenn sich die wissenschaftliche
Erkenntnislage verbessert und Ergebnisse eindeutiger werden.
Für viele IGeL gegen Arthrose fehlt aber der eindeutige Wirknachweis. Woran liegt das?
Dr. Martin Arbogast: Oft liegen noch keine ausreichenden Daten vor, um eine wissenschaftlich valide Aussage zu treffen. Häufig handelt es sich um die Daten von den Herstellern selbst, vielfach liegen ohnehin nur kleine Studien oder vergleichsweise kurze Nachbeobachtungszeiten vor.
Bei vielen Therapieangeboten verstehen wir zudem die Art und Weise, wie die Behandlung wirken soll, noch nicht vollständig. Wenn bestimmte Moleküle injiziert oder als Nahrungsergänzungsmittel gegeben werden, ist nicht bewiesen, dass diese Stoffe zuletzt auch in die Gelenkflüssigkeit integriert oder in den Knorpel eingebaut werden oder anderweitig wirken – oder ob nicht ganz andere Effekte für eine etwaige Wirkung verantwortlich sind.
Dr. Christoph Schwab: Denkbar ist etwa, dass man über eine bestimmte Therapie einen Reiz setzt, der die körpereigenen Reparatursysteme ankurbelt. Ganz gewiss darf man auch den Placeboeffekt nicht unterschätzen, bei dem allein der Glaube an die Behandlung zu einer Verbesserung führt, besonders, wenn dafür eigenes Geld gezahlt wurde. Beide Effekte zusammen erklären eventuell, warum Studien in diesem Bereich oft zu so gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Dr. Martin Arbogast: Erschwerend kommt hinzu, dass Arthrose ähnlich wie Rheuma in gewissen Schüben verlaufen kann: Gute Phasen wechseln sich mit schlechten ab. Vielleicht wären Schmerzen und Einschränkungen auch ganz spontan, ohne Behandlung, besser geworden.
Welche Rolle spielt die Werbung?
Dr. Martin Arbogast: In diesem Bereich wird natürlich viel Geld verdient, auch auf Ärztekongressen werden manche Therapien sehr stark beworben. Mitunter stecken finanzkräftige Unternehmen dahinter, die mit gerichtlichen Klagen drohen, wenn jemand die Wirksamkeit einer Therapie öffentlich anzweifelt. Das führt zu einer gewissen Zurückhaltung in Fachkreisen.
Was ist Ihr persönliches Fazit zum Thema IGeL gegen Arthrose?
Dr. Christoph Schwab: Arthrose ist trotz aller neuen Entwicklungen heute noch nicht heilbar oder umkehrbar. Es bleibt nur ein Lindern der Symptome und Verlangsamen des Verlaufs. Letztlich ist es ein Abbau der Gelenkfunktion, der nicht mehr weggeht. Je nach Situation können Betroffener und Behandelnder gemeinsam abwägen, ob man mangels Alternativen
nicht doch eine Selbstzahlerleistung ausprobiert. Das klare Kommunizieren und gemeinsame Abwägen aller Möglichkeiten sowie eine sorgfältige Aufklärung schafft dabei Vertrauen!
Dr. Martin Arbogast: Wenn wir besser verstanden haben, wie genau die Prozesse bei der Arthrose im Detail ablaufen, können gezieltere Therapien entwickelt werden. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Unzweifelhaft im Hier und Jetzt nachgewiesen ist, dass eine Gewichtsreduktion die Beschwerden lindert. Es nützt nichts, wenn jemand 200 Kilo wiegt, sich aber bestimmte Therapien einkauft und hofft, dass es davon besser wird. Bevor man für die Arthrosetherapie in die eigene Tasche greift, kann jeder selbst viel tun, damit es besser wird – dazu gehören zum Beispiel Gewichtsreduktion und natürlich Bewegung. Bewegung steht über allem!
Zu den Personen:
Dr. Martin Arbogast ist Chefarzt der Abteilung für Rheumaorthopädie an der Waldburg-Zeil-Klinik Oberammergau.
Dr. Christoph Schwab ist dort Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie und Leitender Oberarzt der Abteilung für Rehabilitation
Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 5-2024. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift direkt nach Hause (jetzt Mitglied werden).