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Rheuma: Welche Auswirkungen hat Achtsamkeit?

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Achtsamkeitsübung
Innehalten im Augenblick und ganz bei sich sein – das ist der Kern der Idee von Achtsamkeit.

Glaubt man Studien, soll Achtsamkeit bei regelmäßiger Praxis leistungsfähiger und glücklicher machen, aber auch helfen, Schmerzen besser zu managen.

Für viele Rheumapatientinnen und -patienten ist die Gefahr groß, dass der Schmerz zunehmend ihren Alltag beherrscht. Schmerz versetzt sie dann in einen Dauerstress. Manche bekommen das Gefühl, der Schmerz übernehme das alleinige Kommando in ihrem Leben. Manche geraten sogar in schmerzbedingte Depressionen.

„Seit vielen Jahren setzt deshalb das Rheumazentrum Mittelhessen nicht nur auf individuelle physiotherapeutische und physikalisch therapeutische Maßnahmen in der Therapie“, so Heinz-Otto Junker, Therapeutischer Leiter des Zentrums in Bad Endbach. „Wir haben auch unterschiedliche Entspannungstechniken im Programm: von der Progressiven Muskelentspannung über Autogenes Training bis hin zu Atemübungen und Yoga.“

Gerade Yoga ist mehr als physisches Training, wie es oft im westlichen Verständnis wahrgenommen wird. Das große therapeutische Potenzial von Yoga liegt in der ganzheitlichen Betrachtung von Körper, Geist und Seele. Yogaübungen verbessern nicht nur Koordinationsfähigkeit, Kraft, Ausdauer und Flexibilität. Der ganze Bewegungsapparat wird angeregt. Auch sinken meist der Blutdruck und die Erregung des vegetativen Nervensystems. Körper und Geist beruhigen sich.

Gleichzeitig kann man Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen besser wahrnehmen. Achtsamkeitstraining hat sogar Einfluss auf die persönliche Schmerzwahrnehmung, wie ein Forscherteam an der Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen zusammen mit Tim Gard vom Massachusetts General Hospital in Boston herausfand. Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer im Zustand der Achtsamkeit spürten demnach zwar den Schmerz, aber litten nicht so sehr darunter, weil die für die Bewertung des Schmerzreizes verantwortlichen Hirnareale weniger stark aktiviert waren. Den Kopf frei machen für andere Dinge und den Schmerz in der Wahrnehmung in den Hintergrund treten lassen: Auf diese Weise kann Achtsamkeit helfen, auch schmerzbedingten Stress zu verringern und für innere Ruhe und Ausgeglichenheit zu sorgen.

Studien zur Mind-Body-Interventionen

Eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Studien bestätigt die positive Wirkung der sogenannten Mind-Body-Interventionen. Durch regelmäßige Achtsamkeitsübungen können sowohl Schmerzintensität als auch Schmerzdauer reduziert und mehr Lebensqualität erreicht werden. Stefan Schmidt, Forschungsprofessor an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg, wies das unter anderem für Menschen mit Fibromyalgie und Depressionen nach.

Eine groß angelegte, randomisierte Studie in mehreren psychologischen Zentren der USA zeigte, dass achtsamkeitsbasierte Methoden bei chronischen Schmerzpatienten die gleichen Effekte haben wie eine Verhaltenstherapie beim Psychologen. Eine Metastudie der Oxford University offenbarte, dass Achtsamkeitspraxis in Verbindung mit kognitiver Therapie die gleiche Wirkung hat wie eine pharmakologische Medikation hinsichtlich der Rückfallquotebei Depressionserkrankungen.

Yoga, Zen und Achtsamkeit

Der erste, der Achtsamkeitstrainings systematisch in die Therapie bei Schmerzpatienten eingeführt hat, war der amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn, Gründer des 1995 etablierten Zentrums für Achtsamkeit in Medizin, Gesundheitswesen und Gesellschaft an der University of Massachusetts Medical School. Sein mittlerweile weltweit etabliertes Programm der Mindfulness-Based Stress Reduction (kurz: MBSR) ist ein achtwöchiger Kurs, in dem teilweise aus Hatha-Yoga, Vipassana-Meditation und Zen stammende, aufeinander abgestimmte Aufmerksamkeitsübungen und die Achtsamkeitsmeditation miteinander verbunden werden. Patientinnen und Patienten werden mit der MBSR ermuntert, ihre Aufmerksamkeit vorurteilslos nach innen auf das eigene Erleben zu richten.

Es gibt keinen Doktor-Guru, der ihnen genau sagt, was sie tun oder lassen sollen. Unter anderem gibt es eine Übung, bei der man durch den ganzen Körper reist, um herauszufinden, wie es ihm geht, und um eine gesunde Beziehung zu ihm aufzubauen, auch wenn man ihn doch gerade durch Krankheit, Schmerz und Behinderung oft für unvollkommen hält. Mit dem „Bodyscan“ kann man beginnen, eigenes Schmerzerleben selbst genau zu beobachten. Und statt ständig gegen den Schmerz anzukämpfen, kann man lernen, ihn zu akzeptieren und mit ihm umzugehen.

Achtsamkeit trainieren

Während etliche Kliniken bereits MBSR-Kurse anbieten, in denen Patienten lernen, trotz Schmerzen ein lebenswertes Leben zu führen, sind Achtsamkeitstrainings in der ambulanten Behandlung bei Haus- und Fachärzten noch wenig bekannt.

Um jedoch im Alltag nachhaltig wirksam zu sein, braucht Achtsamkeit als Methode regelmäßiges Üben. Das betont der bekannte Neurowissenschaftler, Gesundheitsforscher und Allgemeinmediziner, Univ.-Prof. Tobias Esch, vom Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten-Herdecke. Zunächst sei es aus seiner Sicht aber wichtig, den ganz eigenen Zugang zur Methode zu finden. Das sei gar nicht so schwer.

Überall da, wo man ganz eins mit der Situation wird, also in seinem ganz privaten Flow, kann man achtsame Momente erleben und ausbauen. Manche finden Achtsamkeit in der Natur bei einem Spaziergang, wenn sie unverbraucht dem Meer oder einem Berg lauschen, ein Blatt im Wind beobachten, einer Ameise bei der Arbeit zusehen oder einem Kind beim Spiel. Andere erfahren diesen Zugang über Aktivitäten beim Sport oder bei Musik, kreativer Betätigung oder beim Kochen. Selbst mit einfachen Atemübungen können wir Bewusstheit schulen, unseren Puls regulieren und die Herzfrequenzvariabilität erweitern.

Atemübung von Thich Nhat Hanh

Halten Sie am Tag immer wieder einmal kurz inne und schenken Sie Ihrem Atem Aufmerksamkeit. Ihr Atem ist immer da. Sie müssen nichts dafür tun.

„Ich atme ein und weiß,
dass ich einatme.
Ich atme aus und weiß,
dass ich ausatme.
Ich atme ein und lächle.
Ich atme aus und lasse los.
Ich atme ein und verweile
im gegenwärtigen Moment.
ich atme aus und weiß, es ist
ein wundervoller Moment.“

Persönliche Gesundheitsversorgung

Achtsamkeit gehört schon lange nicht mehr in die esoterische Ecke. Sie ist in vielen verschiedenen Lebensbereichen angekommen. Besonders wirkungsvoll ist sie in angeleiteter Form im medizinischen Bereich. Längst wird sie auch zur Verbesserung der Konzentration und Leistungsfähigkeit angewandt: im Sport, in der Bundeswehr oder auch in vielen Unternehmen. Angekommen ist die Methode auch in der persönlichen Gesundheitsvorsorge. Alltagstauglich werden Achtsamkeitstrainings gerade durch eine Reihe von Meditations-Apps. Eine der beliebtesten in Deutschland mit mehr als 1,5 Millionen Downloads ist inzwischen 7Mind.

In nur sieben Minuten am Tag sollen Nutzer von 7Mind mehr Ruhe und Wohlbefinden erreichen können. Im Rahmen der  gesundheitlichen Präventionsprogramme erstatten mittlerweile einige Krankenkassen die Nutzung dieser App. Wie bei jeder Therapie gibt es auch in der Anwendung von Achtsamkeit Risiken und Nebenwirkungen. Vieles ist noch unerforscht, so Dr. Ullrich Ott vom Bender Institute of Neuroimaging an der JLU Gießen. Aber vor allem Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen oder Traumaerfahrungen sollten Achtsamkeitstrainings nur nach Beratung und in Begleitung psychischer Fachexpertise anwenden, so rät auch der MBSR-Fachverband.

Forscher von der Brown University in den USA fanden heraus, dass sich zwar gedrückte Stimmung oder Antriebslosigkeit bei betroffenen Menschen besserten, die Hälfte der Teilnehmenden aber auch über unangenehme Erlebnisse bei der Anwendung berichteten, etwa Schlafstörungen, Angst- oder Panikgefühle, ein Wiedererleben traumatischer Erlebnisse oder Selbstentfremdung.

Mehr Mitgefühl?

Achtsamkeitsforscher wie Tobias Esch weisen noch auf eine andere Gefahr hin: Der neue Achtsamkeitsboom in der westlichen Welt koppele sich weitgehend vom kulturellen Kontext und den buddhistischen Wurzeln der Achtsamkeitsphilosophie ab. Das Achtsamkeitstraining werde einfach als Momentum herausgenommen. So könne nach Einschätzung von Esch die Achtsamkeitspraxis sogar selbst Stress verursachen, wenn man zu viele Erwartungen in Ergebnisse setzt und nicht bereit ist, sich von sich selbst und dem Augenblick überraschen zu lassen.

Einige Forschende haben den Verdacht, dass nach Anwendung von selbst zentrierenden Achtsamkeitsübungen das Mitgefühl geschwächt werden könne. Dr. Simon Schindler, Sozialpsychologe an der Technischen Universität Dresden, hat beispielsweise belegt, dass Teilnehmer, die eine Achtsamkeitsübung absolviert hatten, weniger an einem schlechten Gewissen litten als andere, wenn es um das Thema Fleischkonsum und Tierleid ging. Auch gaben die Übenden seltener an, dass sie die Absicht hatten, ihren Fleischkonsum zu reduzieren.

Die zunehmende wissenschaftliche Durchdringung des Phänomens Achtsamkeit zeigt jedenfalls, dass der ethische Hintergrund, vor dem die Übungen praktiziert werden, eine erhebliche Rolle spielt. Auch andere Experten mahnen:

Achtsamkeit ist wirksam als ein Instrument, eine Methode, eine Technik der Aufmerksamkeitsfokussierung. Wir selbst aber bestimmen, worauf wir diese Aufmerksamkeit richten, ob auf

  • die Schmerzwahrnehmung,
  • die Selbstoptimierung, um sich Vorteile in der Leistungsgesellschaft zu verschaffen, oder darauf,
  • dankbar und mitfühlend im Hier und Jetzt mit anderen zu sein.

Als bahnbrechend kann man das Experiment der Hirnforscherin und Forschungsgruppenleiterin Soziale Neurowissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft Berlin, Tania Singer, bezeichnen. Sie hatte untersucht, ob und wie Meditation dabei helfen kann, das Mitgefühl zu stärken. Sie fand im weltweit größten Projekt seiner Art – dem ReSource-Projekt – heraus, dass verschiedene  Normen mentalen Trainings sich dabei nicht nur unterschiedlich auf unser Gehirn, sondern auch auf unser Stresslevel auswirken.

Stresshormone ausbremsen

Wenn zwei Personen mit gemeinsamen Partnerübungen soziale Fähigkeiten trainierten, senkte sich ihre Kortisolkonzentration auf hormoneller Ebene deutlich um 51 Prozent. Das ohne Partner praktizierte Modul zur Steigerung der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit verminderte sozialen Stress auf hormoneller Ebene nicht.

„Der Blick ins Gehirn, auf das Verhalten und auf die Stressantwort der Teilnehmer zeigt nicht nur, dass sich soziale Fähigkeiten üben und Stress reduzieren lassen. Er offenbart auch, dass sich unterschiedliche Formen des mentalen Trainings ganz unterschiedlich auf Gehirn, Gesundheit und Verhalten auswirken können“, erklärte dazu Studienleiterin Tania Singer. Achtsamkeit, so lernen wir, ist ein mächtiges Instrument für Veränderung. Es braucht aber unsere achtsame, ethisch verantwortungsvolle und differenzierte Anwendung. 

Autorin: Ines Nowack, ehemalige mobil-Chefredakteurin, ist Journalistin und lebt in Bonn.

Unsere App "Rheuma-Auszeit"

Entspannung und Bewegung:  Nutzen Sie die Übungen in unserer App "Rheuma-Auszeit", um aktiv dem Schmerz entgegenzuwirken. Sie finden praktische Anleitungen aus folgenden Bereichen:

  • Progressive Muskelentspannung & Passive Entspannung
  • Selbstmassage
  • Gedankenreisen
  • Kälte- & Wärmebehandlungen
  • Bewegungstraining

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