Brigitte Hieronimus ist Referentin für psychosoziale Fragen, Traumaarbeit, zertifizierte Paarberaterin und Biografieberaterin in Borken. Sie leitet die Partnerschaftsseminare im Landesverband Nordrhein-Westfalen. Im Interview mit Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift "mobil", spricht sie über die Bedeutung einer chronischen Erkrankung für eine Partnerschaft und den Einfluss von Schmerzen auf die Beziehung.
Was bedeutet es für eine Partnerschaft, wenn einer der Partner chronisch krank ist, körperlich eingeschränkt ist und häufig Schmerzen hat?
Eine starke Belastung – egal, ob körperlich oder psychisch – betrifft immer beide Partner, das gilt nicht nur für Rheuma. Die Frage ist: Wie sind beide Partner aufeinander bezogen? Ich gebe seit vielen Jahren Partnerschaftsseminare und habe dabei beobachtet, dass ja häufig die Frauen von der Erkrankung betroffen sind. Oft kümmert sich der Mann dann ausnehmend viel um die Frau und nimmt ihr sehr viel ab. Viele Frauen genießen das sehr. Allerdings birgt so ein Verhältnis auch Gefahren.
Welche Risiken sehen sie in so einer Beziehung?
Es kann ein Abhängigkeitsverhältnis entstehen – nicht nur körperlich, auch emotional, nach dem Motto, es geht mir nur gut, wenn es dir auch gut geht. An der Stelle muss man für beide Partner klar sagen: Egal, welche Belastung ich habe, ich bin persönlich für mein Wohlergehen verantwortlich, ich muss selbst dafür sorgen, dass es mir gut geht. Gerade bei rheumatischen Erkrankungen kann man ja oft nicht vorhersehen, wie es einem geht. Da ist es wichtig, dass ich dem anderen befindlichkeitsabhängig seine Freiheiten lassen – also, wenn dem einen mehr nach Ruhe ist, muss ich bereit und in der Lage sein, meine Bedürfnisse alleine wahrzunehmen und meine Befindlichkeit nicht am anderen auslassen.
Wenn ich Hilfe brauche, muss ich lernen, aktiv darum zu bitten, und nicht versteckt-aggressiv eine Erwartungshaltung entwickeln, der Partner möge mir jetzt dieses oder jenes abnehmen. Für den Erkrankten besteht die Hauptaufgabe darin, für sein Wohlergehen die volle Verantwortung zu übernehmen und nichts davon an den Partner zu delegieren.
Immer wieder hört man auch von Trennungen bei Paaren, bei denen ein Partner erkrankt ist. Ist das typisch?
Wenn ein Partner geht, hat schon vor der Erkrankung etwas Grundlegendes in der Beziehung nicht gestimmt. Die Erkrankung wirkt dann nur wie ein Brandbeschleuniger. Ich erinnere mich sehr gut an eine Frau in einem Seminar, die nur über ihre Erkrankung gesprochen hat.
Der Mann sagte, er habe das Gefühl, er habe gar keine Luft mehr zum Atmen, das Rheuma sei wie ein Ballon, der die gesamte Wohnung ausfüllt. An der Stelle war es an der Erkrankten, zu erkennen, warum habe ich das Bedürfnis, die Erkrankung so groß zu machen, dass kein Gleichgewicht mehr in der Beziehung herrscht. In unseren Seminaren stelle ich Paaren oft die Frage: Was findest du an deinem Partner schön? Würdest du ihn oder sie noch mal heiraten? Wenn ja, warum? Spätestens bei diesen Fragen erinnern sich wieder alle an die Zeit, in der sie sich kennengelernt haben, und kommen wieder gut ins Miteinander.
Welchen Einfluss haben Schmerzen und Einschränkungen auf eine Beziehung?
Erwachsene haben sich von ihrem Körper entfremdet. Manche beschimpfen sich sogar, sehen an ihrem Körper nur die Defizite, die Narben, das, was nicht funktioniert. Diese Leibfeindlichkeit hat oft schon im Kindesalter angefangen – grundsätzlich schauen viele Menschen nicht auf das, was funktioniert, sondern nur auf das, was fehlerhaft ist oder nicht klappt.
Aber man kann das Verhältnis zum eigenen Körper auch verbessern – wenn das Knie schmerzt, widmet man sich mal ganz diesem Knie, redet mit ihm, reibt die Hände und legt sie auf das Gelenk, spürt, wie die Wärme wirkt. Auch die Berührung des Partners kann schmerzlindernd wirken. Manchen Menschen fällt es schwer, das zuzulassen. Andere sind so zärtlich zueinander wie frisch Verliebte. Jeder Mensch ist schön, jeder kann etwas Schönes an sich finden.
Wenn die Erkrankung den Fokus so stark auf die Defizite einschränkt, müssen wir ihn bewusst wieder erweitern: Wieso schafft der Partner es denn, den Körper liebevoll zu sehen, und wir schaffen das nicht? Wir müssen wieder lernen, würdevoll mit unserem Körper umzugehen, und anerkennen, was noch alles funktioniert, und nicht nur, was alles nicht mehr geht. Da können auch Zärtlichkeiten und auch Sexualität eine Rolle spielen. Wie liebevoll gehe ich mit dem Körper um, mit meinem und mit dem meines Partners? Liebevolle Berührungen, den Partner halten, sich an den anderen anlehnen, das tut gut. Und immer fragen: Was tut dir gerade jetzt in diesem Moment gut?
Wie kann man einen liebevollen, würdigen Umgang mit sich selbst lernen?
Indem ich mich zum Beispiel auf meine Stärken besinne. Was kann ich trotzdem gut, auch wenn das wegen der Erkrankung vielleicht gerade jetzt nicht gelingt? Was konnte ich gut, bevor die Erkrankung kam? Kann ich davon etwas wieder aufleben lassen, vielleicht auch in einer anderen Form? Und das Allerwichtigste: Was kann ich anderen weitergeben, die Erfahrung, die ich mit dem Thema gemacht habe? Wenn ich dazu beitragen kann, andere zu unterstützen, fühle ich mich in meiner eigenen Stärke viel bewusster.