Was bringt das Digitale-Versorgungs-Gesetz für Rheumabetroffene? Werden künftig Smartphone-Anwendungen den Arztbesuch ersetzen? Antworten auf die wichtigsten Fragen gibt Vorstandsmitglied Gerlinde Bendzuck, die sich im Vorstand unter anderem für das Thema E-Health engagiert.
Frau Bendzuck, was will das Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG) erreichen?
Das DVG will digitale Gesundheitslösungen zügig in die Praxis bringen. Versicherte haben erstmals einen Anspruch auf digitale Gesundheitsanwendungen als Medizinprodukt – die „App auf Rezept“. Es geht dabei um die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten beziehungsweise von Verletzungen oder Behinderungen. Damit kommt ab 2020 digitale Versorgung flächendeckend zu den Patienten. Außerdem werden beispielsweise der Innovationsfonds verlängert und Telekonsile sowie Videosprechstunden vereinfacht.
Warum ist das wichtig?
Digitale Anwendungen können die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung aufweichen und dazu beitragen, die Versorgung besser zu steuern. Vor allem können sie die Kooperation, Koordination und Kommunikation zwischen Leistungserbringern und Patienten erleichtern und verbessern. Daraus können sich auch Chancen für eine Stärkung der Patienten ergeben. Zum Beispiel könnte eine App zur Erfassung der Krankheitsaktivität das Selbstmanagement von Betroffenen stärken, weil es die Selbsteinschätzung verbessert. Der Betroffene erkennt möglicherweise früher, wann es nötig ist, zum Arzt zu gehen, oder kann auf digitalem Weg mit einem Mediziner über eine Therapieanpassung sprechen. Auf der anderen Seite ist es denkbar, in beschwerdearmen Zeiten in Absprache mit dem Arzt die Untersuchungsintervalle zu verlängern. Dadurch würden im System Ressourcen frei für andere Patienten – der Arzt hätte dann zum Beispiel für schwierige oder akute Fälle mehr Zeit.
Welche Probleme sieht die Rheuma-Liga bei der Digitalisierung im Gesundheitssystem?
Herausforderungen sind unter anderem die Gewährleistung von Datenschutz und persönlichem Arztkontakt für eine Erstdiagnose. Es stellen sich jedoch auch Sicherheits- und Qualitätsfragen.
So soll das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erstattungsfähige Apps prüfen und auflisten. Apps, die sich noch in der Erprobungsphase befinden, erhalten eine entsprechende Kennzeichnung. Bedauerlicherweise ist für die Zulassung dieser Apps keine Beteiligung von Patientenvertretern vorgeschrieben. Aus Sicht der Rheuma-Liga ist es daher fraglich, ob die gute Qualität, Benutzbarkeit und Barrierefreiheit für Betroffene gewährleistet ist (komplette Stellungnahme der Deutschen Rheuma-Liga zum Digitale-Versorgungs-Gesetz).
Kann nur der Arzt die Apps verschreiben, oder gibt es auch andere Wege, an die Anwendungen zu kommen?
Die „App auf Rezept“ kann der Arzt zu Lasten der Versicherung verschreiben, wenn sie in der Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte aufgeführt ist. Entscheidend ist
dafür der Paragraf 139e. Versicherte können sich Apps von dieser Liste auch unabhängig vom Arzt von anderen Anbietern wie Krankenkassen besorgen und diese dort direkt oder beispielsweise im Play Store herunterladen. Die Krankenkasse muss diese Aufwendungen erstatten, soweit sie im Funktions- und Anwendungsbereich dieses Paragrafen liegen. Kostet die App mehr als in der zugehörigen Vereinbarung steht, müssen Versicherte die Mehrkosten selbst tragen. Vertragsärzte sollen künftig die Ergebnisse von Gesundheits-Apps in ihre Behandlung mit einbeziehen.
Spitzenplatz für "Rheuma-Auszeit"
Wie könnte das konkret für Rheumabetroffene aussehen?
Wenn die Apps über individuelle Beratungen hinaus diagnostische Feststellungen treffen, muss ein Arzt mit eingebunden werden. Ist der Vertragsarzt nicht verfügbar, kann auch auf „sonstige ärztliche Angebote“ zurückgegriffen werden, etwa ein „Telearzt“. Positiv finde ich, dass bestimmte Anwendungen einer App in das Therapiegespräch mit einbezogen werden können. Das wäre zum Beispiel denkbar für ein Monitoring der Krankheitsaktivität nach dem DAS28, Schmerztagebücher oder Anwendungen, die die Medikamenteneinnahme überwachen. Theoretisch ist es sinnvoll, dass der Arzt dazu die relevanten Daten vorab erhält. Doch dazu fehlen in der Regel noch gesicherte, verschlüsselte Übertragungswege. Vermutlich wird es erst ab 2021 die Möglichkeit geben, Daten aus der App in die elektronische Patientenakte hochzuladen. Einzelne Krankenkassen bieten schon Vorläuferversionen an – und es gibt natürlich auch kommerzielle Angebote. Allerdings ist noch ungeklärt, welche Vergütung dem Arzt dafür zusteht, dass er mit dem Patienten die Ergebnisse bespricht.
Wie wird der Datenschutz sichergestellt? Worauf sollte ich als Nutzer achten?
Die App durchläuft beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Sicherheitsprüfung. Diese checkt jedoch nur Unbedenklichkeit, Funktionstauglichkeit und Qualität (sowie Datenschutz und Datensicherheit) in Bezug auf kranken- und sozialversicherungsrechtliche Konformität. Ob aber eine App besonders datensparsam ist, wird sich für den Verbraucher und verordnenden Arzt nicht unbedingt transparent erschließen. Je nach Quelle (zum Beispiel Play Store oder Herstellerfirma) gibt man bereits durch das Herunterladen zum Beispiel einer
Diät-App oder einer App für eine begleitende Verhaltenstherapie möglicherweise sensible Gesundheitsdaten preis. Die anonymisierten Daten können auf Antrag für Forschungsprojekte zur Verfügung stehen. Dies kann den medizinischen Fortschritt fördern. Wenn Patienten einwilligen, können auch Daten zum Beispiel an die Krankenkasse übermittelt werden, die dann beispielsweise maßgeschneiderte Versorgungsmaßnahmenanbieten könnte. Die Rheuma-Liga fordert an dieser Stelle Transparenz: Es ist unabdingbar, dass die Datenfreigabe wirklich freiwillig erfolgt. Wünschenswert wäre aus Sicht der Rheuma-Liga eine wirklich unabhängige Beratung.
Ersetzen Apps den Arztbesuch, wenn ich zeitnah keinen Termin bekomme?
Aus Sicht der Rheuma-Liga gibt es hier ein klares Nein. Bei der Diagnose oder akuten Ereignissen wie einem Schub bleibt der Arztkontakt erste Wahl.
Wo erhalte ich die Informationen über die Apps?
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte führt das amtliche Verzeichnis der digitalen Gesundheitsanwendungen und informiert über etwaige Änderungen. Noch ist unklar, wie Verbraucher darüber hinaus informiert werden.
Welche Apps wird es geben?
Das ist noch völlig offen. Die Krankenkassen wollen die Apps als Wettbewerbsinstrument einsetzen, Unternehmen auf dem freien Markt wollen (schnell) Geld verdienen. Leider ist es nicht vorgesehen, Betroffene an der Entwicklung oder Zulassung von Apps zu beteiligen. Deshalb ist es aus Sicht der Rheuma-Liga fraglich, ob auf diese Weise in naher Zukunft patientenorientierte
Apps für rheumakranke Menschen auf den Markt kommen. Digitale Inklusion heißt auch, zeitnah für die Versorgungsdefizite der rheumakranken Menschen in Deutschland patientenorientierte Lösungen zu entwickeln.