Brauche ich eine künstliche Hüfte, oder kann der Eingriff noch warten? Habe ich alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft? Ist eine Totalendoprothese die letzte Lösung für meine Probleme?
Diese Frage stellen sich viele Arthrosebetroffene, wenn ihre Schmerzen zu groß werden und die Einschränkungen für ihren Alltag zunehmen. Allerdings ist die Frage, ob ein künstliches Gelenk notwendig ist, schwierig zu beantworten. Sie hat überdies große Konsequenzen für das Leben der Betroffenen. Darüber hinaus wird diese Frage individuell oft sehr unterschiedlich beantwortet.
Die Deutsche Rheuma-Liga hat deshalb bei zwei Leitlinien „Indikationskriterien zur Hüfttotalendoprothese bei Hüftarthrose“ und „Indikationsstellung zur Knieendoprothese bei Kniearthrose oder Knochennekrose“ die Patientensicht eingebracht. Wichtig bei der Überlegung für oder gegen eine Endoprothesenoperation ist dabei das Arzt-Patienten-Gespräch mit der Aufklärung durch die Ärztin oder den Arzt, dem Abwägen des Für und Wider sowie der gemeinsamen (wenn dies gewünscht ist) Entscheidungsfindung.
Betroffene, die nach dem Gespräch mit dem Arzt immer noch unsicher sind, ob sie den infrage kommenden Eingriff durchführen sollen oder nicht, haben stets die Möglichkeit, eine zusätzliche ärztliche Meinung einzuholen. Das bedeutet, dass sie zu einem anderen Arzt oder einer anderen Ärztin gehen dürfen, dort ihren Fall schildern und sich dessen oder deren Empfehlung anhören können.
Was ändert sich also dadurch, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Eingriffe zum Hüftgelenkersatz in die „Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren“ aufgenommen hat?
Unnötige Eingriffe möglichst vermeiden
Der Gesetzgeber hat festgestellt, dass es offenbar in Deutschland bestimmte planbare Operationen gibt, bei denen nicht auszuschließen ist, dass in manchen Fällen zu voreilig operiert wird. Hinweise dafür können zum Beispiel sein, wenn die jährliche Anzahl von bestimmten Eingriffen ständig steigt, oder wenn es regionale Unterschiede in Deutschland oder im internationalen Vergleich in der Häufigkeit dieser Operationen gibt. Um die Betroffenen bei diesen bestimmten, planbaren Operationen vor einem Eingriff optimal über das Für und Wider aufzuklären, gibt es die Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren.
Gesetzlich Versicherte haben bei planbaren Eingriffen, die in der Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren aufgelistet sind, den gesetzlichen Anspruch auf eine unabhängige Zweitmeinung von einer Ärztin oder einem Arzt mit besonderen Fachkenntnissen und Erfahrungen. Das soll dazu beitragen, medizinisch nicht notwendige Eingriffe zu vermeiden.
Die Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren dient dem Schutz der Patientinnen und Patienten und umfasst mittlerweile zehn Operationen, darunter zum Beispiel arthroskopische Eingriffe am Schultergelenk, Implantationen einer Knieprothese, Eingriffe an der Wirbelsäule und Eingriffe zum Hüftgelenkersatz (Hüftprothese). Unabhängig von der Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren bieten viele gesetzliche Krankenkassen eine Zweitmeinung bei weiteren Eingriffen als Zusatzleistung.
Die Zweitmeinung hat viele Vorteile für Betroffene
Die Aufnahme von Eingriffen in die Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren bietet Betroffenen verschiedene Vorteile:
- Bei diesen aufgelisteten Eingriffen muss die Ärztin oder der Arzt, die oder der die ursprüngliche Empfehlung zur Operation gibt, die Patientin oder den Patienten mindestens zehn Tage vor dem geplanten Eingriff über die kostenlose Möglichkeit aufklären, eine Zweitmeinung einzuholen.
- Betroffene können die Entscheidung für oder gegen den Eingriff noch einmal mit einer unabhängigen, besonders qualifizierten Fachärztin oder einem Facharzt besprechen.
- Die Betroffenen können sich dabei über die Notwendigkeit des Eingriffs und über alternative Behandlungsmöglichkeiten beraten lassen sowie offene Fragen klären. Die Beratung erfolgt in einem persönlichen Gespräch.
- Für das Zweitmeinungsgespräch muss der behandelnde Arzt vorab die relevanten Unterlagen (Befunde, Untersuchungsergebnisse et cetera) zur Verfügung stellen.
- Die Richtlinie gewährleistet, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine Liste mit Ärztinnen und Ärzten zur Verfügung stellt, die für das Zweitmeinungsverfahren besonders qualifiziert sind, sodass Betroffene nicht selbst nach einem solchen Arzt suchen müssen.
Entscheidungshilfen für Betroffene
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist beauftragt, Entscheidungshilfen zu den in die Richtlinie aufgenommenen Eingriffen zu erstellen. Diese Entscheidungshilfen unterstützen Patientinnen und Patienten bei der Entscheidung über diese planbaren Operationen. Das Formular für die interaktive Entscheidungshilfe des IQWiGs zur Hüftprothese kann online heruntergeladen werden (siehe weitere Informationen links). Die Entscheidungshilfen sollen möglichst die individuelle Krankengeschichte berücksichtigen und stellen alternative Behandlungsmöglichkeiten mit ihren Vor- und Nachteilen dar. Die Ärztin oder der Arzt muss auf die Existenz der Entscheidungshilfe und des Patientenmerkblatts (siehe
links) hinweisen.
Das Zweitmeinungsverfahren Hüftgelenkersatz inklusive der Ärzteliste und der Entscheidungshilfe gilt für den vollständigen Gelenkersatz (Totalendoprothese). Darunter sind sowohl das erste Einsetzen einer Hüftprothese als auch der Neueingriff (Revision), wenn etwas bei der ersten Operation nicht optimal gelaufen ist, zu verstehen. Außerdem gilt das Verfahren auch für den Wechsel von alten Prothesen beziehungsweise für die Entfernung oder Teilentfernung von Hüftprothesen. Das Verfahren gilt nur für planbare Eingriffe. Notfalleingriffe und dringliche Eingriffe sind nicht umfasst. Ebenso gilt das Verfahren nicht für Teilprothesen bei der Erstimplantation.
Besonderer Einsatz der Rheuma-Liga
Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter der Deutschen Rheuma-Liga waren an dem Verfahren zur Aufnahme des Hüftgelenkersatzes in die Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren eingebunden und haben dazu beigetragen, dass der Hüftgelenkersatz zum Schutz der Patientinnen und Patienten besonders beobachtet und berücksichtigt wird.
Autor: Dr. Jürgen Clausen ist Forschungsreferent, Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband.
Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 1-2025. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift direkt nach Hause (jetzt Mitglied werden).
Weitere Informationen
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiGs) bietet laienverständlich aufbereitete Informationen zur Hüftarthrose und zum Hüftgelenkersatz:
- www.gesundheitsinformation.de/hueftarthrose-coxarthrose.html
- www.gesundheitsinformation.de/gelenkersatz-bei-hueftarthrose.html
Informationen zum Thema Kniearthrose und deren Behandlungsmöglichkeiten finden Sie unter
- www.gesundheitsinformation.de/kniearthrose-gonarthrose.html
- www.gesundheitsinformation.de/gelenkersatz-bei-kniearthrose.html
Informationen zum Thema Zweitmeinungsverfahren finden Sie unter
Das Formular für die interaktive Entscheidungshilfe des IQWiGs zur Hüftprothese finden Sie unter
Die Liste der Ärztinnen und Ärzte für das Zweitmeinungsverfahren finden Sie unter
Auch die Krankenkasse kann bei der Suche nach einem geeigneten Arzt behilflich sein. Außerdem hat der Gemeinsame Bundesausschuss ein allgemeines Patientenmerkblatt veröffentlicht: