Kann Fasten Gelenkschmerzen ausschalten? Warum sollte man mit einer rheumatischen Erkrankung wenig rotes Fleisch essen? Welche Rolle spielt das Körpergewicht? Darüber sprach Julia Bidder, Chefredakteurin der Mitgliederzeitschrift mobil, mit dem Rheumatologen und Ernährungsexperten Prof. Gernot Keyßer. Er ist internistischer Rheumatologe und leitet die Rheumatologische Ambulanz am Universitätsklinikum Halle (Saale).
Herr Prof. Keyßer, kann man mit einer gesunden Ernährung einer rheumatischen Erkrankung vorbeugen oder sie sogar heilen?
Es gibt sehr viele Faktoren, die zum Entstehen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung beitragen. Die richtige Ernährung kann nur das Risiko für eine Erkrankung reduzieren, nicht aber ganz ausschalten. Wenn die entzündlichen Prozesse einer rheumatischen Erkrankung einmal in Gang gekommen sind, lassen die sich nicht einfach wieder rückgängig machen. Es gibt aber Hinweise darauf, dass es einen etwas günstigeren Erkrankungsverlauf hat, wenn man nach der Erkrankung seine Ernährung umstellt. Allerdings scheint der Effekt recht klein zu sein.
Gibt es weitere Lebensstilfaktoren, die Rheumaerkrankungen beeinflussen?
Studien haben gezeigt, dass Raucher ein deutlich höheres Risiko für entzündlich-rheumatische Erkrankungen haben als Nichtraucher. Das Risiko ist besonders hoch, wenn die Raucher übergewichtig sind. Insgesamt lässt sich feststellen, dass stark übergewichtige Betroffene schlechter auf antientzündliche Therapien ansprechen. Das könnte daran liegen, dass ihre Gelenke durch ihr Gewicht stärker belastet sind. Außerdem wissen wir mittlerweile, dass Fett ein stoffwechselaktives Gewebe ist: Es schüttet körpereigene Botenstoffe aus, sogenannte Adipokine. Diese Substanzen befeuern Entzündungen und können eine rheumatische Erkrankung verschlechtern.
Also sollten Rheumatiker möglichst Idealgewicht halten?
Ein leichtes Übergewicht kann durchaus toleriert werden – man muss keinen Body-Mass-Index unter 25 haben. Aber Betroffene sollten sich vor ausgeprägter Fettleibigkeit hüten.
Wie sollten sich Betroffene mit einer rheumatischen Erkrankung ernähren?
Eigentlich ist der beste Tipp: Umstellung auf Mittelmeerdiät und vor allem Bewegung. Wir nehmen in aller Regel deshalb zu, weil wir uns zu wenig bewegen, und nicht nur, weil wir zu viel essen. Auch wenn es eine maßvolle Bewegung ist, tut man auch den Gelenken und dem Herz-Kreislauf-System etwas sehr Gutes. Wer unsicher ist oder starke Einschränkungen
hat, sollte mit seinem Rheumatologen darüber sprechen und sich in der Anfangszeit möglichst von einem Physiotherapeuten begleiten lassen.
Können Sie etwas zum Intervallfasten sagen, das seit einiger Zeit sehr im Trend ist?
Beim sogenannten Intervallfasten wechseln sich Zeiten, in denen die Nahrungsaufnahme erlaubt ist, mit Phasen ohne Essen ab. Ein Beispiel ist die 16:8-Methode, bei der Betroffene in einem Achtstundenzeitraum essen dürfen und dann eine 16-stündige Pause einlegen. Es gibt auch andere Zeitaufteilungen. Dabei ist es offensichtlich so, dass Intervallfasten dazu führt, dass man zwischendurch den Hungerstoffwechsel aktiviert. Daraus scheinen sich günstige Stoffwechseleffekte zu ergeben.
Stammesgeschichtlich entspricht diese Ernährungsform den natürlichen Gegebenheiten, denn wir waren nicht immer in der Situation, ständig Nahrung verfügbar zu haben. Früher hatten die Menschen wenige Mahlzeiten am Tag und zwischendurch ein ordentliches Hungergefühl. Wer abnehmen möchte, kann sich so etwas in den Alltag hineinstrukturieren und diese Regeln auch einhalten.
Kann eine vegetarische oder vegane Kost hilfreich sein? Gibt es auch Risiken?
Es gibt eine Studie aus dem Jahr 1991, wonach eine vegane Ernährung anti-entzündliche Effekte hatte. Diese Studie erfolgte allerdings nur an sehr wenigen Teilnehmern und wurde nie wiederholt. Eine rein vegane Ernährung empfehlen Rheumatologen nicht. Natürlich ist es möglich, dass ein geschulter Veganer sich ausgewogen und eiweißreich ernährt. Aber wir wissen, dass die Gefahr besteht, dass betroffene Veganer einen Eiweißmangel bekommen.
Die Entzündung im Körper führt zu einem Verlust von Muskel- und Knochenmasse. Wenn man sich dann noch unausgewogen und ohne ausreichende Eiweißzufuhr ernährt, kann das kritisch werden, denn tierische Produkte enthalten hochwertiges Eiweiß. Darüber hinaus können Veganer einen Mangel an Vitamin-B-12 bekommen. Der lässt sich aber einfach durch Nahrungsergänzungsmittel ausgleichen.
Ist es ratsam, zu fasten? Wann kann das helfen? Oder kann es sogar schaden?
Tatsächlich gibt es Daten, wonach ein- bis zweiwöchige Fastenkuren einen positiven Effekt auf Gelenkschmerzen haben können. Wissenschaftler vermuten, dass das am körpereigenen Kortisol liegt, das der Körper bei einer Fastenkur vermehrt ausschüttet. Die Betroffenen produzieren sozusagen ihr eigenes Prednisolon. Der Effekt ist aber nicht von Dauer. Außerdem sollte man nicht heilfasten, wenn man untergewichtig ist und auch nicht, wenn die Erkrankung hoch aktiv ist. Stark übergewichtige Menschen dürfen fasten, sie sollten aber lieber eine Form wählen, bei der sie sich essenzielle Aminosäuren zuführen, das sind die Bausteine für Eiweiße. Das lässt sich gewährleisten, indem man Fleischbrühe zu sich nimmt – oder aber einer Formula-Diät folgt, in der Eiweiße als Drink erlaubt sind.
Wann sind Nahrungsergänzungsmittel ratsam?
Angeboten wird viel, ratsam ist wenig. Nach meinem Dafürhalten sollten alle Stoffe, die unser Körper braucht, im Wesentlichen aus einer abwechslungsreichen und qualitativ hochwertigen Ernährung stammen. Eine Ausnahme könnte Vitamin D sein, etwa im Winter oder wenn jemand aufgrund seiner Einschränkungen nicht genügend Sonnenlicht bekommt. Auch Eisenmangel findet sich häufiger bei Rheumabetroffenen. Nicht-steroidale Antirheumatika können die Schleimhaut von Magen und Darmtrakt schädigen, sodass es zu kleinen Blutverlusten im Darm kommt.
Bei allen übrigen Angeboten wie Zink, Selen oder pflanzlichen Zusatzstoffen verspricht die Werbung oft viel. Ich rate meinen Patienten immer, ihre Nahrungsergänzungsmittel mit Beipackzettel mit in die Sprechstunde zu bringen. Bei einem genaueren Blick rate ich dann doch häufig von manchen Präparaten ab.
Kann die Ernährung auch die krankheitsbedingte Erschöpfung (Fatigue) positiv oder negativ beeinflussen?
Viele Faktoren führen zu Fatigue, darunter auch Eisenmangel, Flüssigkeitsmangel und eine hohe Entzündungsaktivität. Auch manche Schmerzmittel können zusätzlich müde machen, beispielsweise Opiate. Viele meiner Patienten, die fünf oder zehn Kilo abgenommen haben, fühlen sich fitter und wacher. Häufig schlafen sie besser und berichten über ein besseres Lebensgefühl.
Zwar macht Fettleibigkeit nicht unbedingt immer müde, aber es gibt schon einen Zusammenhang zwischen Schlafqualität und Fitness/Fatigue. Denn übergewichtige Menschen schnarchen oft häufiger oder haben sogar Atemaussetzer im Schlaf. Ihr Schlaf ist dann weniger erholsam.
Gibt es spezielle Ernährungsempfehlungen für Arthrose?
Für Arthrosebetroffene gilt vor allem, dass sie auf ihr Gewicht achten sollten – vor allem Betroffene mit Knie- oder Hüftarthrose. Körperliche Fitness und das Gewicht sind das A und O.
Wie sieht es für Fibromyalgiebetroffene aus?
Bei Fibromyalgiebetroffenen kann man sagen, dass sich alles um die körperliche Aktivität dreht: Betroffene sollten sich so ausgiebig und ausdauernd wie möglich bewegen. Das verbessert auch die Schlafqualität. Unter Umständen sollten sie ihren Alkoholkonsum einschränken, um den Schlaf nicht zu gefährden, und abends nicht zu üppig essen.
Zehn Tipps für die Ernährung bei Rheuma
Gesunde Ernährung ist neben Bewegung der Schlüssel zu mehr Energie – auch bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Prof. Gernot Keyßer und Julia Bidder haben zehn kurze Tipps zusammengestellt, worauf man bei einer gesunden Ernährung achten sollte.