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Auf dem Weg zur einsamen Gesellschaft?

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Einsamkeit

Aktiv gegen Einsamkeit – das hat sich auch die Rheuma-Liga auf die Fahnen geschrieben. Was sagen Expertinnen, Experten und Studien zu dem Thema?

Vor der Pandemie fühlten sich rund 15 Prozent aller Deutschen einsam, in Zeiten der Kontaktbeschränkungen waren es zeitweilig 42 Prozent. Besonders häufig trifft Einsamkeit junge Erwachsene und Ältere. Weil das gravierende Folgen für Einzelne und die Gesellschaft hat, haben inzwischen sogar Regierungen die Einsamkeit als Problem erkannt und steuern gegen.

„Chronisch einsame Menschen haben ein erhöhtes Risiko für verschiedene psychische und körperliche Erkrankungen“, berichtet Diplom-Psychologin Cornelia Baltscheit, Psychologischer Dienst und Projektleitung KOBRA im Immanuel Krankenhaus Berlin sowie Vizepräsidentin der Rheuma-Liga Berlin.

Sogar das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steige. „Insgesamt wirkt sich Einsamkeit negativ auf die Lebenserwartung aus.“ Der Berliner Diplom-Psychologe Dr. Wolfgang Krüger nennt Einsamkeit „eine der größten Gefährdungen unseres Lebens“. Studien und seine eigene berufliche Erfahrung zeigen, dass Vereinsamung unsere seelische Stabilität senkt – die Wahrscheinlichkeit für Depressionen und weitere psychische Probleme steigt. „Einsamkeit schwächt aber auch das Immunsystem, sodass ein erhebliches Defizit an Sozialkontakten einer der größten Risikofaktoren für Krankheiten ist.“

Wer ist besonders gefährdet?

Fast 17 Millionen Menschen leben in Deutschland derzeit allein. Natürlich tun es viele freiwillig und fühlen sich wohl damit. Andere fühlen sich jedoch ausgeschlossen und isoliert. Besonders unter dieser Einsamkeit leiden junge Leute, die sich von den Eltern abgenabelt haben, aber noch keine verlässlichen Freundschaften und Beziehungen unterhalten, und Ältere, denen die geliebten Menschen nach und nach wegen schwerer Erkrankungen oder Todesfällen verloren gehen.

Cornelia Baltscheit berichtet von den Erfahrungen ihrer Patientinnen und Patienten: „Ältere, vor allem jene, die allein leben, fühlten sich während der Pandemie verstärkt einsam, da die Begegnung mit anderen, kulturelle Aktivitäten und Bewegungstherapie in der Gruppe schlagartig wegfielen. Jüngere Patientinnen und Patienten nutzten vermehrt die sozialen Medien, um in Kontakt mit anderen zu bleiben. Trotzdem verstärkte sich das Einsamkeitsgefühl, da der persönliche Kontakt zu Menschen fehlte.“

Chronische, darunter rheumatische Erkrankungen machten die Situation noch belastender. Eine kanadische Studie mit mehr als 700 Teilnehmenden mit rheumatischen Erkrankungen zeigte auf, dass diese Erkrankungen offensichtlich mit einem besonders hohen Leidensdruck assoziiert waren: 51,1 Prozent der Teilnehmenden berichteten von großer Einsamkeit und 30,3 Prozent von sozialer Isolation. Besorgniserregend: 42,8 Prozent zeigten zudem Symptome einer Depression, 34 Prozent Symptome einer Angststörung.

Rückzug in der Pandemie 

Aufgrund des erhöhten Risikos, schwer an Covid-19 zu erkranken und schwere Folgen zurückzubehalten, vielleicht sogar zu sterben, isolierten sich viele mit einer rheumatischen Erkrankung während der Pandemie. Sowohl Baltscheit als auch Krüger berichten von diesem Rückzug aus Selbstschutz – und dem Leiden in dieser Isolation. Freundschaften aus der Ferne zu pflegen, hätte Betroffene ohne Familienanschluss nur ein Stück weit trösten können, gibt Dr. Krüger zu bedenken.

„In der Pandemie verbesserten sich die Herzensfreundschaften, die sehr verlässlich sind und bei denen wir über fast alles reden können. Doch die Alltagsfreundschaften lagen in der Pandemie fast immer regelrecht auf Eis. Alltagsfreundschaften sind die Art von Freundschaften, bei denen wir einen Anlass brauchen, um in Kontakt zu bleiben. Weil es diesen Anlass, zum Beispiel im Sportverein, im Chor oder beim Treffen in der Kneipe, aufgrund der Kontaktbeschränkungen meist nicht gab, pausierten diese Freundschaften.“

Angst, nicht mithalten zu können

Inzwischen scheint die Gefahr, an Covid-19 schwer zu erkranken, auch für Menschen mit rheumatischen Erkrankungen gebannt. Doch für viele bleibt die Einsamkeit. Cornelia Baltscheit berichtet: „Viele Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung ziehen sich wegen der fortschreitenden Bewegungseinschränkungen, der chronischen Schmerzen und der anhaltenden Müdigkeit immer stärker zurück. Die soziale Teilhabe beschränkt sich häufig nur noch auf den Kontakt mit der Familie und dem Arzt oder der Ärztin. Es treten vermehrt Depressionen auf, oft verbunden mit einem stark verminderten Selbstwertgefühl, da man mit den ,Gesunden‘ nicht mehr mithalten kann“.

Dr. Wolfgang Krüger ergänzt: „Bei allen rheumatischen Erkrankungen haben wir zunächst Einschränkungen in der täglichen Lebensbewältigung, weil man beispielsweise nicht mehr in der Lage ist, eine Flasche zu öffnen. Dann leiden die Betroffenen oft unter erheblichen Schmerzen. Und zudem ist das Erscheinungsbild oft so, dass Patientinnen und Patienten sich als weniger attraktiv empfinden und zurückziehen.“

Doch im Rückzug fehlen eben auch die Menschen, die einem versichern: „Du gefällst mir so, wie du bist“ und die geduldig zuhören, wenn man über die eigenen Belastungen und Sorgen, aber auch über Hoffnungen und Träume sprechen möchte. Ein allererster Schritt gegen die Einsamkeit kann sein, zu realisieren, mit diesen Überlegungen und dieser Belastung nicht allein zu sein. Dann sind erste Schritte hin zu mehr Miteinander möglich – im eigenen Tempo, Schritt für Schritt.

Cornelia Baltscheit gibt zu bedenken: „Oft ist weniger die Anwesenheit anderer Personen das Allheilmittel gegen Einsamkeit, sondern die Qualität der Beziehung, die wir zu uns selbst haben. Sie bestimmt, wie stark wir Einsamkeit empfinden, wenn wir allein sind. Je besser wir uns selbst kennen, je mehr wir uns wertschätzen und je liebevoller wir mit uns umgehen, desto weniger werden wir im Alleinsein Einsamkeit empfinden.“ Das kann laut Baltscheit erreicht werden, „wenn wir achtsam mit uns umgehen, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche erkennen, uns selbst verwöhnen, die Umgebung bewusst nach dem eigenen Geschmack gestalten, feste Rituale in den Tagesablauf einbauen. So kann das Gefühl der Einsamkeit zu einem erfüllten Alleinsein werden.“

Freundschaft zu sich selbst

Dr. Wolfgang Krüger hat eine konkrete Idee zum guten Kontakt mit sich selbst: „Die Freundschaft mit sich selbst in Form einer guten Selbstachtung ist immer die Basis meines sozialen Handelns. Deshalb sollte man einen Zettel neben das Bett legen und jeden Abend aufschreiben, was man gut gemacht hat.“

Danach fallen Wege hinaus aus der quälenden Einsamkeit vielen leichter. „Wenn man die negativen Folgen von Einsamkeit betrachtet, ist jede Aktivität, die jemanden aus der Isolation herausholt, hilfreich“, betont Cornelia Baltscheit. „Niedrigschwellige Aktivitäten können einen Einstieg erleichtern, zum Beispiel in Verbindung mit einem Hobby. Auch Kurse mit festen verbindlichen Terminen können dabei helfen, mit Menschen wieder in Kontakt zu kommen.“

Auch das Angebot in Volkshochschulen, Vereinen, Kirchengemeinden bietet eine gute Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen und aktiver zu werden.

Auf zur Rheuma-Liga!

Sowohl Cornelia Baltscheit als auch Dr. Wolfgang Krüger weisen auf die Rheuma-Liga hin, deren Stammtische, Kreativ-, Sport- und anderen Angebote fast überall stattfinden und die Gelegenheit bieten, Gleichgesinnte zu treffen, die außerdem ähnliche Krankheitserfahrungen mitbringen. Und wer nicht direkt auf andere Menschen zugehen kann oder möchte: Für viele sind Haustiere Gefährten, die Zärtlichkeit, Spaß und neue Rituale in den Alltag bringen und letztlich den Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen helfen.

Aus den so entstehenden Begegnungen die eine oder andere Herzensfreundschaft wachsen zu lassen, die auch ernsthafte Probleme und Lockdowns übersteht, bleibt eine große Aufgabe. Doch alle, die es erlebt haben, bestätigen: Es lohnt sich. Solche Freundschaften können so gut tragen wie eine stabile Familie.

Bald weniger einsam?

Cornelia Baltscheit sieht es so: „Das gesellschaftliche Zusammenleben hat sich verändert. Die Singlehaushalte haben zugenommen, das Leben in der Großstadt führt zu Anonymität, das Streben nach Individualisierung und Abkehr vom gemeinschaftlichen Leben bergen eine große Gefahr der Vereinsamung.“ In Großbritannien gebe es schon seit fünf Jahren ein Ministerium für Einsamkeit. Auch hierzulande gibt es von Bundesregierung, Ländern und Kommunen zahlreiche Projekte. Doch letztendlich, betont Cornelia Baltscheit, „ist Einsamkeit ein subjektives Gefühl, eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen. Es liegt in unserer Hand, wie wir damit umgehen.“

Autorin: Petra Plaum, Journalistin

Dieser Text erschien zuerst in der Mitgliederzeitschrift "mobil", Ausgabe 5-2023. Sechs Mal im Jahr erhalten Mitglieder der Deutschen Rheuma-Liga die Zeitschrift (jetzt Mitglied werden) direkt nach Hause.

Unsere Kampagne "Gemeinsam statt einsam"

Die Deutsche Rheuma-Liga setzt aktiv gegen die Vereinsamung ein, beispielsweise mit unseren Bewegungskursen oder Gruppentreffen, aber auch mit vielen digitalen Angeboten. Mit unserer zweijährigen Kampagne "Gemeinsam statt einsam" haben wir das Thema in die Öffentlichkeit gerückt. Dazu tragen insbesondere unsere neuen Granfluencer Christiane und Peter bei, die in mehreren Videos digitale Angebote der Rheuma-Liga erklären.

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